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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0193
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92 Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung
Die Behauptung, es gebe Worte ganz anderer Ordnung, die als Offenbarung nur
hinzunehmen seien, kann nicht anerkannt werden, insofern als die Worte doch Worte
in menschlicher Sprache sind, etwas meinen, daher verstehbar sein müssen.
Für jede Weise des Wahr seins gibt es Grenzen. Aber die Grenze des Wahrseins durch
Kommunikabilität bedeutet den tautologischen Satz: Sprache ist Verstehbarmachen.
Was nicht in diese Kommunikabilität tritt, steht jenseits der Frage von Wahrheit und
Unwahrheit. Es bleibt sprachlos, daher stumm und ist, als ob es nicht wäre.
Dem allen scheint der Offenbarungsglaube zu folgen. Er verkündet, also spricht er
doch. Das aber genügt nicht. Geistig erkenne ich im philosophischen Denken die Ver-
kündigung nur an, wenn sie auf Fragen antwortet, die sie betreffen. Dadurch, daß sie
nicht antwortet, gar die Diskussion verbietet, schweigt und stehen läßt, hat sie Un-
recht. Die Bedingung des geistigen Anerkennens ist die Grenzenlosigkeit des Rede- und
Antwortstehens.
92 Zweitens: Forderung für die Praxis ist: Jeder Mensch muß grundsätzlich die Bedin-
gungen erfüllen, die die menschliche Gemeinschaft und die Daseinsnotwendigkeiten
fordern.
Wo das zerstört wird und wo der Offenbarungsglaube zu solcher Zerstörung drängt
dadurch, daß er vielmehr das Dasein aller unter seine Bedingungen stellen will, gibt
es keine Toleranz gegenüber solcher Intoleranz.
Zunächst hat das Menschliche den Vorrang. Gegen jene Forderung, Vater und Mut-
ter zu hassen, behält philosophisch für immer jener barbarische friesische Häuptling
recht, der vor der Taufe die Frage stellt, wo seine Ahnen seien, und auf die Antwort: in
der Hölle, die Taufe verweigerte: ich will sein, wo meine Väter sind.22
Der Offenbarungsglaube ist in der Welt. Dort erhebt er durch Kirchen und Theolo-
gie Ansprüche. Er mag im Grunde so ernst sein, wie er will, sobald er in der Welt men-
schenwidrige Konsequenzen hat, ist der Respekt vor ihm hinfällig, wird vielmehr er
unter Bedingungen gestellt. Wir haben zu beobachten, wie er in der Welt wirkt. Dazu
genügt nicht etwa eine allgemeine, schon sehr bedenkliche Betrachtung der Kirchen-
geschichte. In ihr »erscheint das Christentum der Welt so unbedingt preisgegeben wie
nur irgend ein anderes Ding, das in ihr lebt. Sofern dem Christentum auf dem Gebiet
des geschichtlichen Lebens auch nicht Eine der Korruptionen und Verirrungen erspart
geblieben ist, denen die Dinge unterworfen sind, hält die Kirchengeschichte keine
Vorstellung ferner als die eines besonderen, über die Kirche waltenden Schutzes«?23
Vielmehr sind im Besonderen die grundsätzlichen und faktischen Konsequenzen des
Offenbarungsglaubens zu prüfen und daraufhin zu beurteilen, was sie für die mensch-
liche Gemeinschaft und die Ordnung des Daseins in der Welt bedeuten.
Es zeigt sich, daß die Bedingungen, unter denen der Offenbarungsglaube respek-
tiert wird, letzthin politische sind. Was in der Welt auftritt und Macht in dieser Welt

Overbeck, Christentum und Kultur, Basel 1919, S. 266.
 
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