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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0214
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung 113
gleiche Geheimnis weht uns an aus den fernsten Fernen des Kosmos und aus der mi-
kroskopisch sich zeigenden Struktur der Hirnmaterie. In beiden weicht in aller Erhel-
lung ein Unerhelltes zurück.
Nie gelangen wir auf diesem Wege an das Innere. Würden wir die Gehirnmaterie
bis in ihre feinste Struktur kennen, immer würde sie den Sprung schon zur Innerlich-
keit der Sinnesempfindung und des Bewußtseins als unbegreiflich stehen lassen. Die-
ser Innerlichkeit sind wir uns gewiß. Von einem Inneren der Welt haben wir nicht die
leiseste Kunde, nicht das geringste Zeichen.
Die Lehre des Descartes von zwei Substanzen, der äußeren des Raums und der inne-
ren des Bewußtseins (extensio und cogitatio), geht von einer unter diesem Gesichts-
punkt unmittelbarer Erfahrung richtigen Feststellung aus. Diese besagt: Nach Erkennt-
nis des Faktums, daß unser Gehirn Bedingung unserer Innerlichkeit, unserer | Seele, 28
unserer Freiheit in der Welt ist, zeigt sich: Als äußere Materie steht der winzige Gehirn-
teil der Masse des Kosmos gegenüber. Als innere Wirklichkeit aber umgreift das erken-
nende Bewußtsein diesen Kosmos. Das heißt aber: die objektive materielle Welt ist nicht
etwa von einem Gehirnteil umgriffen, sondern ist Gegenstand für etwas, dem auch die-
ser Gehirnteil Objekt werden kann. Die Forschung dringt in die Unendlichkeit der Ma-
terie, der weltweiten, atomaren Materie und der winzigen, strukturierten Hirnmaterie.
Sie gelangt nie an eine Grenze, aber auf diesen Wegen auch nie in das Innere.
Alles philosophische Totalwissen in einer objektiven Metaphysik muß sich in ei-
nem Zirkel bewegen. Die Qualität des Zirkels macht den Gehalt aus. In unserem Falle
ist es ein materieller Zirkel: ein winziger Teil der Welt erkennt die gesamte Welt, die
ihn hervorbringt; das Gehirn als Materie birgt die Welt in sich, aus der es entstanden
ist. Oder ist vielmehr ein anderer Ursprung wirksam, der diesen Zirkel als materiellen
voraussetzt, aber als solchen durchbricht? -
Werden des Kindes, Geschichte, Kosmos sollten der Beobachtung unsere Herkunft
zeigen. In allen drei Fällen von Wißbarkeiten finden wir Tatsachen, die uns mächtig
anziehen, aber nie genug tun. Denn jedesmal stoßen wir an die Grenze, an der die
klar werdende Forschung den Gegenstand, den sie zu haben meinte - den Menschen
selbst -, verliert.
Es ist unmöglich, aus der Objektivierung einer Herkunft zu begreifen, was wir sind.
Keine erkennbare Herkunft macht mich selbst mir begreiflich. Immer erfassen wir un-
ser Dasein in seiner Objektivität nur nach der Seite seiner Erkennbarkeit, ohne Mög-
lichkeit des Abschlusses dieser ins Unendliche vordringenden Forschung.
Durch den physiologisch-psychologischen Prozeß des Lebens, durch Überliefe-
rung, durch Geschichte werden wir in der Welt gleichsam wach, sind aber nicht als
wir selbst aus der Welt zu begreifen.
Was sind wir? Wer sind wir? Wie finden wir uns in der Welt? Das erfahren wir nicht
im beobachtenden Zusehen gegenüber einem Anderen, sondern in der Reflexion auf
uns selbst und die Welt.
 
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