Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung 119
(2) Ich glaube nicht an Offenbarung und habe es nie, soweit mir bewußt ist, auch
nur der Möglichkeit nach getan. Warum aber ist der Offenbarungsglaube ernst zu neh-
men auch für den, dem dieser Glaube nicht gegeben ist? Schon wegen der Tatsache sei-
ner mächtigen Wirkung in der Geschichte und wegen des hohen sittlichen und geis-
tigen Ranges mancher offenbarungsgläubiger Menschen. Doch das ist in bezug auf
den Sinn des Offenbarungsanspruchs selber doch äußerlich gedacht. Wesentlich ist:
Wenn von Menschen ihnen zuteil gewordene Offenbarungen kundgegeben wurden,
oder wenn an Menschen als an Offenbarungen geglaubt wurde, so bleiben wir nicht
gleichgültig, wenn der Inhalt solcher Offenbarungen von so hohem Gewicht ist, daß
er bis heute existentiell unumgängliche Bedeutung hat. Auf dem Boden des Offenba-
rungsglaubens sind Gehalte, Antriebe, Werke, Handlungen erwachsen, die dann auch
ohne ihn in ihrer Wahrheit menschlich zugänglich sind.
Dazu kommt die Anziehungskraft des Nichtverstandenen. Die Vergeblichkeit un-
seres Verstehens beruhigt uns nicht. Wenn wir staunen, was aus diesem Glauben her-
aus verkündet, gedacht, getan wurde, bleiben wir in Unruhe.
Man hat den Offenbarungsglauben nicht ernst genommen. In einer Aufklärung,
die mit der großen eigentlichen Aufklärung Platos und Kants nicht verwechselt wer-
den darf, sagt man, es sei nichts als wirklich anzuerkennen als was seine Realität für
unsere Sinne ausweist, und was durch Operationen des Verstandes bewiesen wird. Für
dieses Seins- und Selbstbewußtsein des bloßen Verstandes sind Offenbarung ebenso
wie die Philosophie die großen Irrungen in der Geschichte, die man früher etwa un-
ter dem Titel »Wahnideen im Völkerleben«42 behandelt hat. Heute spricht so der dem
»Wahn« sich überlegen fühlende Wissenschaftsaberglaube, dem die Unterscheidung
fehlt dessen, was durch | Wissenschaften wirklich erkannt und erkennbar ist (und da-
mit an Methode, Kritik, Begründung gebunden bleibt), von dem, was in der Pseudo-
wissenschaft als bloße Meinung umläuft, als ob Erkenntnis vorläge.
Heute ist für den wahrhaftigen Menschen, den Offenbarungsgläubigen wie den
Philosophen, unerläßlich: Was wissenschaftlich erkennbar ist, darf er nicht umgehen.
Es bedarf aber der methodischen Erfahrung, um wissenschaftlich zuverlässig urteilen
zu können. Damit wird, trotz des Fortschritts ins Unendliche, das Bewußtsein von den
Grenzen des Wissens erworben und befestigt.
Im Gegensatz zum Aufweis der Grenzen, die uns in den hellen und weiten Raum
von Existenz und Transzendenz bringen, gibt es aber seit alters eine diabolische Me-
thode: dem Menschen seine Grenzen zu zeigen dadurch, daß man ihn intellektuell
verwirrt, in den bodenlosen Skeptizismus und die Verzweiflung am Wissenkönnen
führt, um dann als Rettung anzubieten etwas Absolutes, Hinzunehmendes, Unbegrün-
detes, dem zu gehorchen, das aber nicht mehr zu befragen ist.
Der Offenbarungsglaube, den wir ernst nehmen, hat einen ursprünglich anderen
Charakter. Er ist nicht der Verzweiflung am Denken entsprungen und selber nicht ge-
dankenlos. Er war ein denkender Glaube. Was er in seinen großen Gestalten - Augus-
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(2) Ich glaube nicht an Offenbarung und habe es nie, soweit mir bewußt ist, auch
nur der Möglichkeit nach getan. Warum aber ist der Offenbarungsglaube ernst zu neh-
men auch für den, dem dieser Glaube nicht gegeben ist? Schon wegen der Tatsache sei-
ner mächtigen Wirkung in der Geschichte und wegen des hohen sittlichen und geis-
tigen Ranges mancher offenbarungsgläubiger Menschen. Doch das ist in bezug auf
den Sinn des Offenbarungsanspruchs selber doch äußerlich gedacht. Wesentlich ist:
Wenn von Menschen ihnen zuteil gewordene Offenbarungen kundgegeben wurden,
oder wenn an Menschen als an Offenbarungen geglaubt wurde, so bleiben wir nicht
gleichgültig, wenn der Inhalt solcher Offenbarungen von so hohem Gewicht ist, daß
er bis heute existentiell unumgängliche Bedeutung hat. Auf dem Boden des Offenba-
rungsglaubens sind Gehalte, Antriebe, Werke, Handlungen erwachsen, die dann auch
ohne ihn in ihrer Wahrheit menschlich zugänglich sind.
Dazu kommt die Anziehungskraft des Nichtverstandenen. Die Vergeblichkeit un-
seres Verstehens beruhigt uns nicht. Wenn wir staunen, was aus diesem Glauben her-
aus verkündet, gedacht, getan wurde, bleiben wir in Unruhe.
Man hat den Offenbarungsglauben nicht ernst genommen. In einer Aufklärung,
die mit der großen eigentlichen Aufklärung Platos und Kants nicht verwechselt wer-
den darf, sagt man, es sei nichts als wirklich anzuerkennen als was seine Realität für
unsere Sinne ausweist, und was durch Operationen des Verstandes bewiesen wird. Für
dieses Seins- und Selbstbewußtsein des bloßen Verstandes sind Offenbarung ebenso
wie die Philosophie die großen Irrungen in der Geschichte, die man früher etwa un-
ter dem Titel »Wahnideen im Völkerleben«42 behandelt hat. Heute spricht so der dem
»Wahn« sich überlegen fühlende Wissenschaftsaberglaube, dem die Unterscheidung
fehlt dessen, was durch | Wissenschaften wirklich erkannt und erkennbar ist (und da-
mit an Methode, Kritik, Begründung gebunden bleibt), von dem, was in der Pseudo-
wissenschaft als bloße Meinung umläuft, als ob Erkenntnis vorläge.
Heute ist für den wahrhaftigen Menschen, den Offenbarungsgläubigen wie den
Philosophen, unerläßlich: Was wissenschaftlich erkennbar ist, darf er nicht umgehen.
Es bedarf aber der methodischen Erfahrung, um wissenschaftlich zuverlässig urteilen
zu können. Damit wird, trotz des Fortschritts ins Unendliche, das Bewußtsein von den
Grenzen des Wissens erworben und befestigt.
Im Gegensatz zum Aufweis der Grenzen, die uns in den hellen und weiten Raum
von Existenz und Transzendenz bringen, gibt es aber seit alters eine diabolische Me-
thode: dem Menschen seine Grenzen zu zeigen dadurch, daß man ihn intellektuell
verwirrt, in den bodenlosen Skeptizismus und die Verzweiflung am Wissenkönnen
führt, um dann als Rettung anzubieten etwas Absolutes, Hinzunehmendes, Unbegrün-
detes, dem zu gehorchen, das aber nicht mehr zu befragen ist.
Der Offenbarungsglaube, den wir ernst nehmen, hat einen ursprünglich anderen
Charakter. Er ist nicht der Verzweiflung am Denken entsprungen und selber nicht ge-
dankenlos. Er war ein denkender Glaube. Was er in seinen großen Gestalten - Augus-
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