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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0222
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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Der entgegengesetzte Vorwurf lautet: Was ich philosophierend ausführe, läuft doch
auf den einen Punkt zu: Offenbarung ist das Erwünschte, wenn es nur möglich ist, sie
zu glauben. Philosophie wird Erzieherin zur Offenbarung hin.
Wenn das geschieht, wehre ich nicht ab. Denn Philosophie macht nicht, wie der
Offenbarungsglaube, Propaganda, sondern läßt jeden Menschen als ihn selbst in sei-
nem Entschlüsse frei. Die Philosophie verkündet nicht und überredet nicht. In der Phi-
losophie treffen sich freie Menschen als Schicksalsgefährten. Daß mein Philosophie-
ren zum Offenbarungsglauben führen solle, ist ganz und gar nicht meine Absicht. Ich
selber kann nicht anders als mit Kant denken: Wäre | Offenbarung Realität, so wäre sie 38
das Unheil für die geschaffene Freiheit des Menschen.44
Trotzdem will ich kein Denken, das am Ende eine Offenbarung ausschließt - wenn
es mir auch unmöglich scheint, daß ich sie je glauben könnte. Der philosophische
Glaube ist eigener Ursprung. Aber er läßt Offenbarung als Möglichkeit für andere gel-
ten, obgleich er sie nicht verstehen kann. Er will nicht Feindschaft, sondern Redlich-
keit, will nicht Abbruch, sondern Kommunikation, will nicht Gewalt, sondern Libe-
ralität.
Übersicht des Buches
(1) Zunächst zähle ich die sieben Hauptteile auf:
Im ersten Teil werden aus der Geschichte des Glaubens und der Kirche Tatsachen her-
ausgehoben, Ereignisse, Denkinhalte, Organisationsformen. Sie sind grundsätzlich als
Tatsachen wissenschaftlich feststellbar. Sie zu erkennen ist, unabhängig vom Glauben,
für jedermann übereinstimmend möglich. Wir suchen uns den Begriffskreis zu klären,
der sich um den Offenbarungsglauben gelegt hat.
Im zweiten Teil stellen wir einen geistigen Tatbestand vor Augen, dessen Klarheit
wir für alles heutige Denken von höchster Wichtigkeit halten. Die moderne Wissen-
schaft hat erstmalig in der Geschichte die universale Wissenschaftlichkeit verwirk-
licht. Sie hat das Bewußtsein ihrer Methoden, ihrer Grenzen, ihres Sinns. Wissenschaft
unterscheidet sich sowohl von Philosophie wie von Theologie. Die alte Trennung
von Vernunfterkenntnis und Glaubenserkenntnis trifft nicht mehr das Wesentliche.
Philosophie und Wissenschaft sind nicht dasselbe. Der selbständige philosophische
Ursprung kann, wie noch nie in früheren Zeiten, zum Bewußtsein kommen.
Im dritten Teil wird ein philosophisches »Grundwissen« entworfen. Es gibt philo-
sophische Einsichten, die mit der Absicht vorgetragen werden, in ihnen einen für alle
Menschen gemeinsamen Boden finden zu können. Diese Absicht kann ihr Ziel dann
nicht erreichen, wenn es sich um Glaubensgehalte handelt. Aber wenn dieses Grund-
wissen nur eine Erhellung dessen sein will, wie wir alle uns in der Welt finden, und der
Formen, in denen alles aufgefangen wird, was Gehalt für uns hat, dann ist nicht mehr
eine Erkenntnis des Seins selbst gemeint, nicht des Systems des Ganzen, sondern die
 
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