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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0234
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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zweite Form des Glaubens, gegründet auf die Kirche, hat den christlichen Offenba-
rungsgedanken herausgearbeitet und in einer Ausschließlichkeit so scharf bestimmt,
daß es für sie nur christliche Offenbarung gibt. Die dritte Form des Glaubens bedarf
der Offenbarung nicht und kann sich doch geschichtlich auf die Bibel gründen.
Das Christentum umfaßt alles, was, gegründet auf die Bibel, in Ostkirchen und
Westkirchen, in vielen Konfessionen, in liebestätigen, undogmatischen Quäkern und
in fanatischen Calvinisten, in Franz von Assisi und in den im Namen Gottes foltern-
den und mordenden Inquisitoren wirklich war. Der geschichtliche christliche Raum
umfaßt das ganze Abendland und noch mehr.
Wir Abendländer alle sind Christen, weil in diesem Raum geprägt, durch die Her-
kunft in unserer Seele bewegt, in unseren Entschlüssen und Zielsetzungen bestimmt,
und mit Bildern und Vorstellungen erfüllt, die auf die Bibel zurückgehen. Man spricht
besser von biblischer Religion, die die Juden nicht weniger als die Christen aller Art
und noch in einem gewissen Sinne, wenn auch weiter abliegend, den Islam umfaßt.
Dessen wird man sich bewußt, wenn man sich eine Weile in indische und chinesische
Geisteswelt vertieft, Abstand gewinnt und nun von fern her das Gemeinsame dieser
ganzen biblisch bestimmten Welt sieht.
In diesem Raum aber, der das Gemeinsame hat, auf die Bibel ge|gründet zu sein, ist
die Frage nach dem Wesen des Christentums nicht zu beantworten ohne die Gewalt-
samkeit einer es für sich beanspruchenden Sondergruppe. Die meisten dieser Sonder-
gruppen glauben, verkünden und vertreten nach ihrer Meinung die eigentliche un-
verfälschte Offenbarung.
Die Menschheit ist Zeuge eines Jahrhunderte währenden, immer unentschiedenen
Kampfes um das wahre Christentum, eines oft sehr »unchristlichen« Kampfes. Juden
und Christen stoßen sich ab und Christen untereinander. Vergeblich nennen sich Kir-
chen katholisch (griechisch-katholisch, römisch-katholisch). Sie bleiben doch nur be-
sondere Erscheinungen. Vergeblich trennen sich die Protestanten, um allein auf das
Bibelwort gegründet gemeinschaftlich die wahren Christen zu sein. Sie spalten sich
schnell in eine Menge von abweichenden Denominationen. Es gibt kein gemeinsames
Merkmal wahren Christentums, nicht einmal den Glauben an Jesus als menschgewor-
denen Gott. Es gibt das Christentum nur in Sondergruppen.
Das alles hat einen Grund darin, daß die Bibel der literarische Niederschlag der ein-
zigartigen religiösen Erfahrung eines Jahrtausends ist, der seinen Abschluß fand im
ersten oder zweiten Jahrhundert nach Christus mit der endgültigen Fixierung des Ka-
nons. Die Bibel ist, wie das Leben selber, unendlich vieldeutig, für jede Situation und
Position mit Texten bereit. Stets haben Gegner sich - gleichen Rechtes - mit Bibeltex-
ten rechtfertigen können. Die Bibel selber verlangt Aneignung, Wahl, Abstoßung -
Vergegenwärtigung, Verwandlung. Sie ist für den Gedanken kein fester Ausgangs-
punkt, sondern für die Existenz des Menschen die Kraft, ihn im Innersten zum Ernst
zu bringen. Sie läßt an das Äußerste der totalen Infragestellung gelangen. Sie erlaubt

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