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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0235
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134

Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

nicht, irgendeine Not zu verschleiern. Sie führt den redlichen Menschen an den Ab-
grund, an dem sie die Möglichkeit eines unbegreiflichen Vertrauens erweckt.
Daher dürfen wir Abendländer aus der biblischen Religion zu leben glauben, für
dieses Leben viele Gestaltungen, Wege, Grundsätze zulassen, den Besitzanspruch aber
jeder Gruppe, jeder Kirche, welche auch immer sie sei, verwehren.
Ein Theologe mag verachtend sagen: wer die Bibel liest, ist noch kein Christ.49 Ich
antworte: niemand und keine Instanz weiß, wer ein Christ ist; wir sind alle Christen
(biblisch glaubende Menschen), und jedem ist es zuzubilligen, der Christ zu sein be-
hauptet. Wir brauchen uns nicht hinauswerfen zu lassen aus dem Hause, das seit ei-
54 nem | Jahrtausend das unserer Väter ist. Es kommt darauf an, wie einer die Bibel liest
und was dadurch aus ihm wird.
Es kann geschehen, daß ein Mann wie Kierkegaard allen Zeitgenossen bestreitet,
Christen zu sein, am meisten den Pfarrern und Theologen, und daß er selbst für sich
das Christsein nicht einmal in Anspruch nimmt.50 Es kann sein, daß Kirchen und
Theologen uns das Christentum absprechen, aber für sich in Anspruch nehmen.51 Man
muß den einen wie den andern stehen lassen, aber, sofern sie überhaupt zuhören, ih-
nen widersprechen. Die Scheu verlangt, historisch die biblischen Religionen in ihrer
ganzen Vieldeutigkeit und Unbestimmtheit zu sehen, dann (trotz allem Schreckli-
chen) anzuerkennen, was in ihnen an grenzenloser Wahrhaftigkeit, Liebeskraft und
Freiheit wirklich war. Es ist das, was gemeinsam sein könnte und dann selber das Blut
der Philosophie wäre. Nur das eine dürfen wir verwehren: daß eine Instanz die Ent-
scheidung darüber in Anspruch nehme, was Christentum sei und wer ein Christ sei.
In der Welt soll als Christ gelten, wer sich dafür hält.
Da die Überlieferung an Organisation gebunden ist, die Überlieferung der biblischen
Religion an Kirchen, Gemeinden, Sekten, so wird, wer sich als Abendländer dem Grunde
verbunden weiß, einer solchen Organisation (sei sie römisch-katholisch, jüdisch, pro-
testantisch usw.) zugehören, damit die Überlieferung stattfinde und der Ort bleibe, von
dem möglicherweise das Pneuma, wenn es wieder wirksam würde, in die Völker gelangte.
Die Konfession wird gleichgültig, ist nur geschichtlich für die eigene Herkunft von
Belang. Das Verbindende ist die von Vernunft durchglühte biblische Religion, die nie-
mand für sich allein hat. Quer durch alle Konfessionen hindurch geht die der Mög-
lichkeit nach tiefere Verbindung, durch die die unausweichliche Enge jeder Konfes-
sion gesprengt wird.

c. Offenbarung und Denken

(a) Die Offenbarung im Ursprung wird verstanden. Dieses Verstehen heißt Theologie.
Voraussetzung der Theologie ist die Wirklichkeit der Offenbarung. Wo ist sie zu finden?
Man denkt wohl: in der Realität Jesu, wie sie in den Synoptikern mit den Mitteln
55 historischer Kritik zu finden ist. Aber Jesus ist als | Realität ein Mensch, historisch der
 
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