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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0273
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172

Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

der Philosophie und nicht im Denken der Völker. Daher ist das grundsätzlich schon
Überwundene noch faktisch gültig als geläufige Meinung.
So wird die Philosophie heute durch Theologie und Schulphilosophie und durch
die konventionelle öffentliche Meinung in die falsche Stellung gedrängt, als sei sie eine
Wissenschaft, klassifiziert als Fach in einer Fakultät. Man behandelt die Philosophie
als eine objektive Forschung, die mit den Mitteln des Verstandes ihre Gegenstände all-
gemeingültig erkennt. So erwartet man, daß sie wie andere Wissenschaften im Fort-
schreiten sei, daher den je neuesten und höchsten bisherigen Standpunkt habe. So
nimmt man die Haltung an, sie um ihre Ergebnisse zu befragen. Man möchte sie nut-
zen. Oder man verachtet sie, da jener Fortschritt gar nicht stattfindet und sie ja doch
nichts »weiß«. Man verschweigt dies aus traditionellem Respekt und kümmert sich um
diese veraltete Angelegenheit nicht mehr.
Solches Bild der Philosophie hat diese selber in vielen ihrer Vertreter sich gefallen
lassen. Sie geriet dahin durch ihre eigene Selbstvergessenheit. Es wurde möglich durch
die Meinung, der Mensch gründe sich und alles, was er denkt und tut, auf den reinen
Verstand. Diese Gründung im ganzen soll Philosophie sein. Ihr gegenüber, außerhalb
des Verstandes sieht man »Gefühle«, die die wissenschaftliche Philosophie nichts an-
gehen. Oder man redet von einer »Privatmetaphysik«, von der man nicht sprechen
solle. Oder man nennt das Mysterium des Glaubens etwas Unbegreifliches, das man,
wie Hobbes sagte, schlucken müsse wie Pillen, die einem gut tun, aber nicht zerkaut
werden dürfen, weil sie dann Ekel erregen und ausgespuckt werden.118
Wahr ist, daß Philosophie sich gründet auf denkende Vergewisserung, auf etwas,
was dem Menschen einsichtig wird durch Vernunft, die den Verstand gebraucht, und
daß dies nicht aus dem Leeren geschieht.
102 Die Philosophie ist außer Sicht geraten. Warum? Weil heute sie | selber, sich ver-
gessend, nicht mehr ihrer Aufgabe genug tut. Sie erhellt nicht mehr das, woraus der
Mensch lebt, versäumt das Denken, das vermöge dieser Erhellung das Leben trägt. Sie
ergreift nicht im Denken ihren eigenen Ursprung. Das geschieht, wenn sie abgleitet
in bloße Sachlichkeit gegenständlichen, vermeintlichen Wissens, in das endlose Dis-
kutieren ohne erfüllenden Gehalt. Ihr Denken verliert die Kraft des mit ihm vollzoge-
nen inneren Handelns. Der Philosophierende denkt nicht mehr aus totaler Ergriffen-
heit. Sein Denken wird unverbindlich. Dadurch wird es existentiell matt, auch wenn
es logisch scharf, literarisch gekonnt ist. Es hört auf, Philosophie zu sein.
So war es schon einmal in der Spätantike, im Zeitalter Augustins. Dem Ernste Au-
gustins konnte die Philosophie damals in ihren bequemen rationalen Geläufigkeiten,
in der Endlosigkeit der Gedanken, in Dogmatismus und Skepsis sich wiederholend,
verfallen an bloße Formulierungen schulmäßiger Lehren und Lernbarkeiten, nicht
mehr genug tun, trotz der von ihm hoch geachteten und philosophisch ernsten neu-
platonischen Spekulation. In Augustin fand das philosophische Denken wieder seinen
ganzen Ernst. Augustins neue, ursprüngliche Philosophie nahm die Gehalte biblischen
 
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