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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0274
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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Denkens und der biblischen Offenbarung aus dem gesamten Umfang der biblischen
Texte in sich auf. Es war wie eine Blutauffrischung der Philosophie durch den christ-
lichen Glauben, der damals noch in der Lebendigkeit des Werdens war.
Von einem solchen Denker wurden nicht Philosophie und Theologie - nicht ein-
mal Natur und Übernatur - so wie später getrennt: Philosophie und Theologie waren
eins bei Augustin, später auf andere Weise bei Scotus Eriugena, bei Anselm, bei Cusa-
nus. Vor ihnen kann man fragen: Ist die Offenbarung nicht selber natürlich? Ist das
Natürliche nicht selber übernatürlich? Die natürliche Einsicht (das lumen naturale)
hat selber einen übernatürlichen Grund.
Als die Unterscheidung von natürlicher Erkenntnis und Offenbarungserkenntnis
endgültig vollzogen wurde, schien die Philosophie zunächst verloren einerseits an
bloße Verstandeserkenntnis, andererseits an das Mysterium.
Die Philosophie mußte sich von neuem auf sich selbst und ihren Ursprung besin-
nen. Die Verstandeserkenntnis, das heißt die Wissenschaft gilt übereinstimmend für
alle Menschen, daher auch für Theologie und Philosophie. Losgelöst von Offenbarung
und Theologie und deren Grund im Heiligen Geist kennt aber die Philosophie das in-
nere | Zeugnis ihres Geistes, der Vernunft, der Existenz. Dieses kann für Menschen der 103
Ursprung und die letzte Instanz von Einsicht und Entscheidung sein. Die Philosophie
mußte angesichts des endgültig dogmatisierten Offenbarungsglaubens sich klar wer-
den, daß sie mit ihm nicht mehr auf die Weise eins werden kann, wie sie es einmal im
Stadium seines Werdens sein konnte.

2. Die Situation im philosophischen Denken des Offenbarungsglaubens
Wissenschaft hat mit Offenbarungsglauben nichts zu tun, wohl aber Philosophie. In
welcher Situation findet sich das philosophische Denken, das sich seines eigenen Ur-
sprungs bewußt geworden ist, vor der Offenbarung?
Wir haben uns im ersten Teil dieser Schrift vergegenwärtigt: Der Glaube an Offen-
barung ist als Tatsache in der Welt. Was aber Offenbarung sei, versteht nur der Glau-
bende. Philosophie aber läßt seit Sokrates den Menschen unterscheiden, was er ver-
steht und was er nicht versteht. Was er nicht versteht, verleugnet er darum nicht und
braucht er nicht als gleichgültig beiseite liegen zu lassen.
Kann das philosophische Denken wenigstens das Nichtverstandene gleichsam von
außen wiedererkennen? Kann der Nichtglaubende die Offenbarung als etwas, das ge-
glaubt, aber auch nur vom Glaubenden verstanden wird, seinerseits doch umkreisen
und befragen? Dann sieht für ihn die Realität der Offenbarung so aus: Offenbarung ist
eine direkte Mitteilung oder Handlung Gottes in Raum und Zeit, an bestimmten Or-
ten historisch lokalisiert. Offenbarung gilt als eine Wirklichkeit, deren eine Seite als
Realität der profanen Geschichte angehört, während sie selber heilige Geschichte ist,
die nur der Glaubende sieht. Dem Glaubenden fallen heilige und profane Geschichte
 
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