Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0282
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung 181
2. Was in Subjekt und Objekt gespalten die Stätte der Erscheinung wird, nennen
wir das Umgreifende.
Wenn wir es vergegenwärtigen, so denken wir es, als ob es selber - wider seine Wirk-
lichkeit - Objekt werden könnte, oder als ob es das Subjekt wäre, das wir als Objekt vor
Augen bringen. Gestatten wir uns diese Unumgänglichkeit des Denkweges, so zeigt
sich:
Das Umgreifende denken wir entweder von der Subjektseite her: dann ist es das
Sein, das wir sind und worin uns jede Seinsweise vorkommt, unser Dasein, das Bewußt-
sein überhaupt, der Geist. Oder wir denken es von der Objektseite her: dann ist es das
Sein, in dem und wodurch wir sind: die Welt.
Dieses gesamte, nirgends sich schließende, daher ungeschlossene Schwebende
heißt das Sein der Immanenz. Erst durch einen Sprung von dorther betreten wir den
Boden, auf dem nach der Subjektseite das Umgreifende das Selbstsein der Existenz ist,
nach der Objektseite das Umgreifende der Transzendenz.
Wir vergegenwärtigen diese Weisen des Umgreifenden (Bewußtsein überhaupt, Da-
sein, Geist, Existenz - Welt und Transzendenz):
3. Bewußtsein überhaupt nennen wir im individuell variierenden, erlebenden, wirk-
lichen Bewußtsein das allen gemeinsame Bewußtsein. Es ist nicht die zufällige Subjekti-
vität der vielen, sondern die eine Subjektivität, die das Allgemeine und Allgemeingül-
tige gegenständlich erfaßt. Dieses Bewußtsein überhaupt ist der Punkt, in dem jeder
jeden anderen vertreten kann, ein dem Sinne nach einziger, an dem alle mehr oder
weniger teilhaben. Ihm zeigt sich, was denkbar ist und erkennbar wird, in den ihm ei-
genen Formen der Denkbarkeit überhaupt, in den zu ihm gehörenden Strukturen und
Kategorien.
Als individuelles Bewußtsein unseres lebendigen Daseins sind wir, in der Enge der
Vereinzelung, umgreifend nur als das Bewußtsein | dieses jeweiligen Daseins. Als Be- 113
wußtsein überhaupt dagegen nehmen wir teil an einem Unwirklichen, aber Gültigen,
der allgemeingültigen Richtigkeit des Erkennens, und sind als solches Bewußtsein
grundsätzlich ein der Möglichkeit nach grenzenlos Umgreifendes.
Bewußtsein überhaupt ist das Umgreifende, das wir sind nicht als das mehrfache,
ähnliche und artweise verschiedene lebendige Bewußtsein, sondern das wir sind als
das eine, mit sich identische, Identisches meinende und richtig erkennende Bewußt-
sein, das allen endlichen denkenden Wesen gemeinsam ist.
Das Bewußtsein überhaupt ist als solches nicht real. Wir konstruieren es als das voll-
endete Bewußtsein, als das wissende Innehaben, das eines ist und das All in sich faßt.
Niemand besitzt es, wir alle haben daran teil.
Die Realität, die wir sind, ist Dasein, als das das Bewußtsein in endloser Vielfach-
heit vorkommt. Bewußtsein, obgleich nur Realität in diesem Dasein, ist aber zugleich
Gültigkeit, soweit es Bewußtsein überhaupt wird. Das Bewußtsein als Dasein ist immer
zugleich beschränkt, gestört, verkehrt.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften