Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
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In jeder Weise des Umgreifenden treten Kräfte auf, die zum Durchbruch drängen,
als ob Fesseln wären, in deren Zerreißen erst die Wahrheit sich zeige.
Die Vernunft aber ist das umgreifende Band, das, was auseinanderfallen will, uns
vereinigen läßt. Sie weist den Weg, auf dem wir bauend verwirklichen.
Sie ist, wie in der Transzendenz das Umgreifende alles Umgreifenden ist, so in der
Immanenz das, was allem voraus ist, das sich verabsolutieren möchte. Sie läßt kein ab-
solutes Auseinanderfallen, kein Zerrissenbleiben, das endgültig wäre, zu. Sie will nicht
dulden, daß etwas unwiderruflich durchbräche, aus dem Sein herausfiele, ins Boden-
lose versänke und verschwände.
4. Vernunft ist kein System. - Das aber, was jeden Durchbruch wieder auffangen kann,
ist für uns keine gegebene Ordnung, die als ewig feststehende erkannt werden könnte.
Es ist kein Gebäude, das, wie wir es auch fänden, doch immer zu sprengen wäre. Es ist
kein System, das, wie es auch konstruiert würde, doch überschritten werden müßte. Für
uns, in der Zeit, in allen Weisen des Umgreifenden, ist die Vernunft werdend, aber so,
daß sie sich in einer Ewigkeit, die ist, zu finden meint.
Alle möglichen und wirklichen Standpunkte, auch das Vernunft|lose und Ver-
nunftwidrige, gewinnen gleichsam ihren Ort in dem Raum, der selber kein Standpunkt
mehr ist.
5. Vernunft ohne Subjekt-Objekt-Spaltung. - Wie ist denn im Umgreifenden der Ver-
nunft das Subjekt-Objekt-Verhältnis? Was ist hier Subjekt, was Objekt in der Spaltung?
Die Antwort muß sein: Hier ist die Struktur grundsätzlich anders als in allen Weisen des
Umgreifenden. Die Vernunft tritt in alle Weisen der Subjekt-Objekt-Spaltung mit ein,
aber in sich selbst ist sie ohne solche Spaltung. Daher ist sie wie nichts, wenn sie nicht in
den Medien der anderen Weisen des Umgreifenden zur Wirklichkeit kommt. Sie findet
nicht eine neue andere Objektivität als ein neues Subjekt, das dieser gegenüberstände.
Sie wirkt im Bunde mit der Existenz, die ihr den Ernst verleiht. Sie ist Bewegung in
der Welt, gezogen von dem Einen, das über alles Denkbare hinaus ist und worauf alles
gerichtet ist.
6. Vernunft und Verstand. - Verstand ist noch nicht Vernunft. Daß im Sprachge-
brauch verständig und vernünftig kaum unterschieden werden, erschwert die philo-
sophische Formulierung dessen, was der Mensch als Mensch denkend tut oder doch
zu tun vermag.
Der Verstand bestimmt, fixiert, beschränkt und macht dadurch klar und deutlich.
Die Vernunft öffnet, bewegt, kennt kein Ausruhen in einem Gewußten.
Aber die Vernunft tut keinen Schritt ohne Verstand. Sie will die unablässige Erwei-
terung des Bewußtseins überhaupt. Sie gibt den Verstand nirgends preis. Verstandes-
verachtung ist zugleich Vernunftverachtung. Unter dem Antrieb der Vernunft kann
der Verstand durch sich selbst sich überschreiten, indem er bis an seine Grenzen
dringt, an denen der Überschritt stattfindet, der den Verstand weder verläßt noch ver-
gißt, sondern mit ihm mehr als Verstand, eben Vernunft ist.
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In jeder Weise des Umgreifenden treten Kräfte auf, die zum Durchbruch drängen,
als ob Fesseln wären, in deren Zerreißen erst die Wahrheit sich zeige.
Die Vernunft aber ist das umgreifende Band, das, was auseinanderfallen will, uns
vereinigen läßt. Sie weist den Weg, auf dem wir bauend verwirklichen.
Sie ist, wie in der Transzendenz das Umgreifende alles Umgreifenden ist, so in der
Immanenz das, was allem voraus ist, das sich verabsolutieren möchte. Sie läßt kein ab-
solutes Auseinanderfallen, kein Zerrissenbleiben, das endgültig wäre, zu. Sie will nicht
dulden, daß etwas unwiderruflich durchbräche, aus dem Sein herausfiele, ins Boden-
lose versänke und verschwände.
4. Vernunft ist kein System. - Das aber, was jeden Durchbruch wieder auffangen kann,
ist für uns keine gegebene Ordnung, die als ewig feststehende erkannt werden könnte.
Es ist kein Gebäude, das, wie wir es auch fänden, doch immer zu sprengen wäre. Es ist
kein System, das, wie es auch konstruiert würde, doch überschritten werden müßte. Für
uns, in der Zeit, in allen Weisen des Umgreifenden, ist die Vernunft werdend, aber so,
daß sie sich in einer Ewigkeit, die ist, zu finden meint.
Alle möglichen und wirklichen Standpunkte, auch das Vernunft|lose und Ver-
nunftwidrige, gewinnen gleichsam ihren Ort in dem Raum, der selber kein Standpunkt
mehr ist.
5. Vernunft ohne Subjekt-Objekt-Spaltung. - Wie ist denn im Umgreifenden der Ver-
nunft das Subjekt-Objekt-Verhältnis? Was ist hier Subjekt, was Objekt in der Spaltung?
Die Antwort muß sein: Hier ist die Struktur grundsätzlich anders als in allen Weisen des
Umgreifenden. Die Vernunft tritt in alle Weisen der Subjekt-Objekt-Spaltung mit ein,
aber in sich selbst ist sie ohne solche Spaltung. Daher ist sie wie nichts, wenn sie nicht in
den Medien der anderen Weisen des Umgreifenden zur Wirklichkeit kommt. Sie findet
nicht eine neue andere Objektivität als ein neues Subjekt, das dieser gegenüberstände.
Sie wirkt im Bunde mit der Existenz, die ihr den Ernst verleiht. Sie ist Bewegung in
der Welt, gezogen von dem Einen, das über alles Denkbare hinaus ist und worauf alles
gerichtet ist.
6. Vernunft und Verstand. - Verstand ist noch nicht Vernunft. Daß im Sprachge-
brauch verständig und vernünftig kaum unterschieden werden, erschwert die philo-
sophische Formulierung dessen, was der Mensch als Mensch denkend tut oder doch
zu tun vermag.
Der Verstand bestimmt, fixiert, beschränkt und macht dadurch klar und deutlich.
Die Vernunft öffnet, bewegt, kennt kein Ausruhen in einem Gewußten.
Aber die Vernunft tut keinen Schritt ohne Verstand. Sie will die unablässige Erwei-
terung des Bewußtseins überhaupt. Sie gibt den Verstand nirgends preis. Verstandes-
verachtung ist zugleich Vernunftverachtung. Unter dem Antrieb der Vernunft kann
der Verstand durch sich selbst sich überschreiten, indem er bis an seine Grenzen
dringt, an denen der Überschritt stattfindet, der den Verstand weder verläßt noch ver-
gißt, sondern mit ihm mehr als Verstand, eben Vernunft ist.
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