Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0301
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
200

Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

Zweitens erfolgt das Hinausschreiten über die Spaltung durch das Innewerden des
Umgreifenden als solchen. Wenn dies Hinausschreiten, statt in abstrakten Hinweisen,
in der Verfassung des denkenden Menschen selber vollzogen wird, dann ist durch diese
philosophische Grundoperation eine Umwendung des menschlichen Selbstbewußt-
seins eingetreten. Während wir faktisch in der Subjekt-Objekt-Spaltung bleiben, wird
uns diese doch auf eine Weise bewußt, daß wir an die Grenze gelangen, an der wir un-
seren Zustand im Umgreifenden als die Wirklichkeit spüren, deren bewußt zu werden
uns verwandelt. Denn im Gefängnis vom Gefängnis zu wissen, befreit zwar nicht von
der Realität in der Zeit, aber befreit durch das Denken dahin, wo wir Ursprung und Ziel
zwar nicht erkennen, aber als einer uns bestimmenden Macht innewerden. Dadurch
werden in der Spaltung die Erscheinungen selber heller, wird in ihnen das Umgreifende
gegenwärtiger. Das Gefängnis wird nicht gesprengt, wie durch die unio mystica, die in
eine Unzugänglichkeit fallen läßt. Aber wenn das Gefängnis erkannt, gleichsam auch
von außen gesehen wird, ist es selber durchstrahlt. Die Entfaltung der Erscheinungen in
der Zeit im Lichte des Umgreifenden läßt das Gefängnis immer weniger Gefängnis sein.
2. Das falsche Ausspielen von Subjektivität und Objektivität gegeneinander. - Es ist ein
häufiger Streit: der eine wirft dem anderen vor, daß er die Objektivität in der Subjek-
tivität verschwinden lasse, oder daß er als er selbst verschwinde in der behaupteten
Objektivität.
Ein Beispiel: Ich hatte geschrieben: »Fanatiker überhören die Vieldeutigkeit in allen Erfahrun-
gen von Gottes Stimme. Wer gewiß weiß, was Gott sagt und will, macht Gott zu einem Wesen
in der Welt, über das er verfügt, und ist damit auf dem Wege zum Aberglauben.«128 Damit wollte
137 ich sagen: Wenn ich weiß, was Gott sagt und will, und mich darauf berufe zur Recht|fertigung
meiner Forderungen an andere, so habe ich Gott zum Objekt gemacht, wie das »ich denke« im
Bewußtsein überhaupt seinen Gegenstand, den es erkennt. Gott zum Objekt in diesem Sinne
machen, ist, Gott zum Götzen machen. Dies Tun heißt Aberglaube. Die Forderungen Gottes als
gewußte, allgemeingültige aussprechen, ist die Begründung von Ansprüchen durch das Abso-
lute, das die Ansprüche selber absolut macht, also weiterer Prüfung entzieht. Dies Tun heißt Fa-
natismus. - Ein Theologe1 übt daran Kritik. Er meint: bei der Auffassung, daß ein Glaube, der in
ein bestimmtes Credo festgelegt werde, dann in eine Gegenständlichkeit, in ein Wissen verwan-
delt und nicht mehr reiner Glaube sei, »stehen wir vor der eigentümlichen Tatsache, daß die
Wahrheit, vollständig als Überzeugung verstanden, ihr objektives Korrelat vermißt. Ich bin
nicht überzeugt hinsichtlich einer Wahrheit, die von sich aus gilt, sondern meine Überzeugung
selber ist die Wahrheit. Gerne bezieht sich Jaspers auf den Satz Kierkegaards: die Subjektivität
ist die Wahrheit«.129
Bei solcher Kritik kann man - denke ich - sich wohl verständigen, wenn man nur die
spezifische Subjekt-Objekt-Beziehung ins Auge faßt. Nicht die »Überzeugung« nur
subjektiven Charakters ist die Wahrheit, sondern die Überzeugung zusammen mit

Hendrik van Oyen, Theologische Zeitschrift 1957.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften