Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
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kirchlich bestattet. Man schätzt aber in den Städten nur auf fünf Prozent, örtlich mehr
oder weniger, die Zahl der kirchlich regelmäßig Praktizierenden.138 Nun ist kein Zwei-
fel, daß diese Abkehr oft nur Gedankenlosigkeit ist, ein Absturz in den Rationalismus
des verabsolutierten Leistungsbetriebes, ergänzt durch den Vergnügungsbetrieb, also
in die Vergessenheit seiner selbst und des Grundes aller Dinge. Wer auf die kirchlichen
Formen verzichtet, kann das ungestraft nur tun, wenn er die Kraft hat zur philosophi-
schen Meditation. Die tägliche Besinnung, die Durchdringung des Tagesganges und
seiner Erfahrungen mit der Auswirkung solcher Besinnung, eine innere Verfassung,
durch die das Umgreifende immer wieder gegenwärtig wird, ist Voraussetzung eines
existentiellen Daseins. Dazu aber ist weder die Leibhaftigkeit noch das Sakrale eine un-
bedingte Notwendigkeit. Doch von der philosophischen Besinnung her wird die Nei-
gung zum Sakralen gerechtfertigt unter der Voraussetzung, daß sie nicht verführt zu
jener Leibhaftigkeit und ihren Verstrickungen. Der Kultus und das Sakrale ist als ein
Leben mit Chiffern möglich.
(4) Die Vergewisserung des Umgreifenden, worin wir uns finden, wird nicht nur
von der Offenbarung durchbrochen, sondern auch vom indischen (buddhistischen
und hinduistischen) Nirwana. Das anscheinend Unvergleichbare von Offenbarung
und Nirwana hat gemeinsam: alles, was ist, Welt, Denkbarkeit, Erkennbarkeit ist un-
zulänglich und wird überschritten; das, wohin überschritten oder wovon ergriffen
wird, ist gegenwärtig erfahren; die Menschen solcher Erfahrung bleiben auf ihre Weise
in der Welt. Zunächst weil sie nun einmal | da sind und der Selbstmord nach indischer 166
Einsicht nicht zum Ziele führt, nach christlichem Glauben verboten ist und die ewi-
gen Höllenstrafen zur Folge hat; vor allem aber auch in der Absicht der Rettung der An-
deren durch Lehre und Verkündigung, schließlich durch ihr Vorbild in der ethischen
Wirkung auf ihre Umwelt.
Das Nirwana läßt alles, Welt, Götter, Gott, alle Weisen des Umgreifenden ein-
schließlich des Bezugs von Existenz zu Transzendenz, zu etwas werden, das nicht ei-
gentlich, sondern Spiel, Zauber, Schleier der Maya ist. In der Welt, von ihr her gesehen,
erscheint das Nirwana vollkommen eintönig, wie Nichts. Die Offenbarung dagegen ist
erstens vielfach, bei Juden, Christen, Islam, zweitens wirkt sie mit Forderungen und
Verheißungen in der Welt; sie wird Moment der größten Lebendigkeit und Spannung
im Weltlichen selber, das gar nicht gleichgültig, gar nicht Schein, sondern Stätte ewi-
ger Entscheidung ist.
Das Nirwana hebt für sich selbst alle Leibhaftigkeit auf. Der Weg zu ihm hin kennt
nur Chiffern. Die Offenbarung wird leibhaftig durch Inkarnation Gottes. Sie läßt nicht
zu, sich in eine Chiffer verwandeln zu lassen.
(5) Die Realität als Erscheinung unterscheiden wir von der Wirklichkeit der Exis-
tenz und Transzendenz. Die Wirklichkeit der Transzendenz hat vor der Realität in
Raum und Zeit den Vorrang der Unveränderlichkeit gegenüber den sich wandelnden
und verschwindenden Realitäten.
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kirchlich bestattet. Man schätzt aber in den Städten nur auf fünf Prozent, örtlich mehr
oder weniger, die Zahl der kirchlich regelmäßig Praktizierenden.138 Nun ist kein Zwei-
fel, daß diese Abkehr oft nur Gedankenlosigkeit ist, ein Absturz in den Rationalismus
des verabsolutierten Leistungsbetriebes, ergänzt durch den Vergnügungsbetrieb, also
in die Vergessenheit seiner selbst und des Grundes aller Dinge. Wer auf die kirchlichen
Formen verzichtet, kann das ungestraft nur tun, wenn er die Kraft hat zur philosophi-
schen Meditation. Die tägliche Besinnung, die Durchdringung des Tagesganges und
seiner Erfahrungen mit der Auswirkung solcher Besinnung, eine innere Verfassung,
durch die das Umgreifende immer wieder gegenwärtig wird, ist Voraussetzung eines
existentiellen Daseins. Dazu aber ist weder die Leibhaftigkeit noch das Sakrale eine un-
bedingte Notwendigkeit. Doch von der philosophischen Besinnung her wird die Nei-
gung zum Sakralen gerechtfertigt unter der Voraussetzung, daß sie nicht verführt zu
jener Leibhaftigkeit und ihren Verstrickungen. Der Kultus und das Sakrale ist als ein
Leben mit Chiffern möglich.
(4) Die Vergewisserung des Umgreifenden, worin wir uns finden, wird nicht nur
von der Offenbarung durchbrochen, sondern auch vom indischen (buddhistischen
und hinduistischen) Nirwana. Das anscheinend Unvergleichbare von Offenbarung
und Nirwana hat gemeinsam: alles, was ist, Welt, Denkbarkeit, Erkennbarkeit ist un-
zulänglich und wird überschritten; das, wohin überschritten oder wovon ergriffen
wird, ist gegenwärtig erfahren; die Menschen solcher Erfahrung bleiben auf ihre Weise
in der Welt. Zunächst weil sie nun einmal | da sind und der Selbstmord nach indischer 166
Einsicht nicht zum Ziele führt, nach christlichem Glauben verboten ist und die ewi-
gen Höllenstrafen zur Folge hat; vor allem aber auch in der Absicht der Rettung der An-
deren durch Lehre und Verkündigung, schließlich durch ihr Vorbild in der ethischen
Wirkung auf ihre Umwelt.
Das Nirwana läßt alles, Welt, Götter, Gott, alle Weisen des Umgreifenden ein-
schließlich des Bezugs von Existenz zu Transzendenz, zu etwas werden, das nicht ei-
gentlich, sondern Spiel, Zauber, Schleier der Maya ist. In der Welt, von ihr her gesehen,
erscheint das Nirwana vollkommen eintönig, wie Nichts. Die Offenbarung dagegen ist
erstens vielfach, bei Juden, Christen, Islam, zweitens wirkt sie mit Forderungen und
Verheißungen in der Welt; sie wird Moment der größten Lebendigkeit und Spannung
im Weltlichen selber, das gar nicht gleichgültig, gar nicht Schein, sondern Stätte ewi-
ger Entscheidung ist.
Das Nirwana hebt für sich selbst alle Leibhaftigkeit auf. Der Weg zu ihm hin kennt
nur Chiffern. Die Offenbarung wird leibhaftig durch Inkarnation Gottes. Sie läßt nicht
zu, sich in eine Chiffer verwandeln zu lassen.
(5) Die Realität als Erscheinung unterscheiden wir von der Wirklichkeit der Exis-
tenz und Transzendenz. Die Wirklichkeit der Transzendenz hat vor der Realität in
Raum und Zeit den Vorrang der Unveränderlichkeit gegenüber den sich wandelnden
und verschwindenden Realitäten.