Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0339
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
238

Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

(3) Der Zirkel liegt auch im Gedanken der Chiffer. Sprache, dieses Sinnliche, Akus-
tische, in der Schrift Optische ist uns als Träger von Bedeutung jeden Augenblick selbst-
verständlich und doch das große allumfassende Geheimnis unseres denkenden Da-
seins. Wir sind als sinnliche Wesen der Sprache bedürftig, ergreifen in der Sinnlichkeit
der Sprache vermöge ihrer Bedeutungen ein Spirituelles und bezeugen durch jeden
Akt des Sprechens uns als nicht nur sinnliche Wesen. Die Chiffern aber nennen wir
nur eine Sprache. Sprache ist für sie ein Gleichnis. In der Tat sind die Chiffern über das
Geheimnis der Sprache hinaus ein neues Geheimnis. Wie wir in der Sprache das Spi-
rituelle überhaupt ergreifen, so umkreisen wir in den Chiffern die Transzendenz.
184 | Die Sprache der Chiffern hat Realität nur als diese Sprache, die leibhaftig gehört
und erblickt wird. Nicht Realität aber ist der, der spricht, ist nicht einmal dieses Ver-
hältnis von Chiffer und Bedeutung. Die Chiffer ist Sprache, aber nicht die eines Spre-
chenden.
Das Grundverhältnis im Chiffernsein ist also derart, daß es selber nur durch eine
Chiffer auszusprechen ist. Die Chiffer ist das Sein des transzendenten Bedeutens, das
nur dies und nicht Bedeuten von Anderem ist. Chiffer als Sprache benannt ist selber
nur die Chiffer des Chiffernseins. Im Hören und Aneignen der Chiffern geschieht der
Aufstieg zum Wirklichen hin, wenn Existenz sie hört und darin zu sich selbst kommt.
Was gemeint ist, kann nicht durch eine Bestimmung begriffen, aber im Gebrauch der
Mitteilung erfahren werden. Beim Definieren bewegen wir uns in Zirkeln, von Zirkeln
zu Zirkeln. Dieses Sichdrehen in Kreisen ist endlos. Es ist für den Verstand lächerlich.
Die sich stets erneuernden Zirkel lassen die Bodenlosigkeit des nur Denkbaren of-
fenbar werden, solange keine Existenz aus ihrem Ursprung antwortet. Oder umgekehrt
dieser letzte Zirkel: In der Bodenlosigkeit, uns auffangend im unbegreiflichen Aufge-
fangenwerden, gelangen wir zum Ursprung.
(4) Die Zirkel der Philosophie und des Offenbarungsglaubens sind sinnverschie-
den. Jeder Zirkel muß, sofern er bewußt wird, auch durchbrochen werden. Die philo-
sophischen Zirkel durchbrechen sich durch Eintritt in neue Zirkel bis zur Erfahrung
der Bodenlosigkeit im Denkbaren. Der Zirkel des Offenbarungsglaubens endet auf dem
Boden des Handgreiflichen. Die philosophischen Zirkel lassen verdampfen und füh-
ren zurück in den Ernst der Existenz hier und jetzt als selbstverantwortlich in seiner
Unruhe ohne abschließendes Wissen woher und wohin. Der Zirkel des Offenbarungs-
glaubens ist in sich zufrieden, schließt sich in seiner Erlösung ab auf den Boden seiner
Realität.
Die Sinnverschiedenheit des Zirkels des Offenbarungsglaubens und des philoso-
phischen Zirkels gibt einen Unterschied kund, der bis in die Wurzel der Existenz zu
gehen scheint:
Der Mensch des Offenbarungsglaubens legt seine Existenz selbst in diesen Zirkel
und schließt sich ab. Der Offenbarungsglaube ist dann eine »uneinnehmbare Burg«.169
Das bedeutet: er bricht die Kommunikation mit anderen Menschen ab. Aber diese
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften