Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0348
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

247

(9) Das Reich der Chiffern entzieht sich einer ihrem Wesen angemessenen Ord-
nung. Ein Entwurf der Welt der Chiffern wird vielmehr zu einer unabschließbaren Be-
schreibung und Sammlung des historisch Vorgekommenen. Es wird dann äußerlich
und neutral ge| sehen. Es verblaßt zu Unwirklichkeiten und wird zu einem leblosen 195
Herbarium.
Man mag die Chiffern in ihren wirksamen historischen Erscheinungen wahrneh-
men (Wissenschaft der Mythologie), je einzelne Gruppen aus eigener Ergriffenheit,
sie in gegenwärtige Sprache übersetzend, zeigen (Bachofen).179 Man mag, die Vielfach-
heit sondernd, Rangordnungen und Dimensionen der Chiffern unterscheiden, mag
sie in ihren historischen Wandlungen in allen besonderen Gestalten vor Augen stellen.
Auf diesen Wegen gewinnt man einen ungemeinen Reichtum an Bildern. Aber
aus ihren Ordnungen heraus muß der Sprung in ihre Wirklichkeit erfolgen, die erst
bei eigener Teilnahme offenbar wird. Da zeigen sich die Chiffern als ein unendliches
Gewebe oder ein vieldimensionaler Raum. Wir denken in diese Räume hinein, je aus
gewählten Ansätzen. Sie durchdringen sich in der Entfaltung, ergänzen sich, antwor-
ten sich.
Da sie keine Fixierung zulassen, ohne zu erlöschen, sie vielmehr zur Bewahrung ih-
res Lebens der Schwebe bedürfen, ist philosophisch das Sprechen in Chiffern nur so
lange wahrhaftig, als dieses Schwebende bleibt.
(10) Interpretation findet ihre Grenze, wo die Sprache aufhört. Sie vollendet sich
im Schweigen. Aber diese Grenze ist selber nur durch Sprache da. Im Gang der sprach-
lichen Mitteilung wird Schweigen eine Weise des Sprechens. Dieses Schweigen ist
nicht Verschweigen von etwas, das ich weiß und sagen könnte. Es ist vielmehr den Mit-
einanderdenkenden, sich selber und der Transzendenz gegenüber, das an der Grenze
des Sagbaren erfüllte Schweigen. Dieses Schweigen ist nicht das Stummsein der Sprach-
losigkeit, die nichts sagt, also auch nicht schweigt.
So ist es mit den Chiffern. Wir hören sie gleichsam aus verschiedenen Kreisen her,
die sich um die Transzendenz legen. Oder wir sprechen mit ihnen zu ihr hin. Aber die
Chiffern sind nie das, was wir in ihnen suchen oder spüren oder erfahren. Daher drän-
gen wir, über sie hinaus zu gelangen in die Tiefe oder in die Höhe, wo auch alle Chif-
fernsprache aufhört und die Transzendenz im Wissen des Nichtwissens, das heißt in
jenem erfüllten Schweigen berührt wird.
Eine Weise, sich dem Denken der Transzendenz zu nähern, ist das Denken des Un-
endlichen. Es gelingt, Begriffe des Unendlichen aufzustellen, mit ihnen zu operieren,
aber immer liegt über sie hinaus das | Unendliche selber. Das Denken versagt, wenn es 196
dies Unendliche denken soll. Es zerbricht und zeigt im Zerbrechen - in Widerspruch
und Zirkel - indirekt das Unendliche.
Das Unsagbare, weil Undenkbare ist für uns dadurch da, daß gesprochen und ge-
dacht wird in dem »ich weiß nicht welchem Kampf der Worte« (nescio quae pugna
verborum, Augustin).180 Und dieser Kampf der Worte ist besser durch Schweigen zu hü-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften