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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0365
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2Ö4

Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

Solche Erörterungen der metaphysisch gegründeten einen Liebe als eines Beispiels
für die Chiffer des Einen und des Sinnes der Zahl Eins in ihr zeigen die Unmöglichkeit,
das unanschaubare Eine der Transzendenz doch gleichsam anschaulich zu machen.
(6) Die Wahrheit des Einen bleibt in der ihm gehörenden Ferne, in Chiffern wie in
Spiegeln sprechend, das Eine für alle, die Zugkraft für jeden Einzelnen, niemandes Besitz.
Das Eine, an dem hängt, was Existenz gewinnt, das Errettende aus dem Sumpf blo-
ßen Daseins, in dem wir alle sind, das Heilvolle auf unserem Wege, wird zum Verder-
ben, wenn es in falscher Gestalt vorweggenommen, als Eines für sich gegen Anderes
in Besitz genommen, von Einzelnen und Gruppen von Menschen an sich gerissen, zur
Fahne im Kämpfen wird. Die Einheit ist dann nicht mehr Spiegel der Einheit der Tran-
szendenz, sondern die Einheit eines Eigenwillens, der sich Heiligkeit geben möchte.
Das leere, numerisch Eine gewinnt einen Inhalt durch die Verbindung mit der
Besonderheit in ihrer Einzigkeit, der einzigen Wahrheit, dem auserwählten Volk, der
einen Kirche, der Absolutheit dieses Geschichtlichen, das im Daseinskampf die an-
deren zwingen will.
218 Das Eine wird dann der eine Gott als der meine, der ein kämpfen|der, durch mich
kämpfender Gott ist, mir helfend gegen die anderen. Der eine Gott wird eifernd, aus-
schließend.
Der eine Gott bedeutet Alleinherrschaft, mit dem Inhalt, die Herrschaft einer or-
ganisierten Menschengruppe in der Welt zu rechtfertigen.
Das abstrakte Eine, die Zahl, wird als solches negativ. Aber die Zahl verführt, weil im-
mer noch hinter ihr, trotz der Verkehrung in der Welt, die Erhabenheit des Einen steht.
Der Abfall in das endlich Eine, zum bloß Numerischen, zur kommunikationslosen
Ausschließlichkeit, in die Armut der Abstraktion des leeren Einen führt zum Fanatis-
mus.
So kann das Hohe durch falsche Rationalisierung in das Niedrige entarten und ihm
noch einen falschen Glanz geben. Das abstrakte Eine wird zum numerisch Einen, das
in der Welt in Anspruch nimmt, unduldsam sein zu dürfen. Aus der Transzendenz des
Einen wird ein Endliches in der Welt. Das Eine wird zur Rechtfertigung des Despotis-
mus. Von den Reichen der frühen Hochkulturen mit ihrem Gottkönig über das Römi-
sche Imperium und über den Anspruch, die eine katholische Kirche zu sein, geht die
Erscheinung durch die Geschichte. Mit ihr kaum noch vergleichbar und doch in der
Form des Einen analog, nunmehr jeder Transzendenz entkleidet, haben wir die Er-
scheinung vollendeter Unmenschlichkeit erfahren in dem widrigen Übermut, der uns
noch in den Ohren klingt: ein Volk, ein Reich, ein Führer.
So wird in der Lüge der Verkehrung das, wovon einst Freiheit, Kraft und Halt der
Existenz kam, zur Wildheit des Zerstörens. Denn Verwüstung ist die Folge, wenn das
vermeintliche Eine in der Welt vorzeitig ergriffen wird.
(7) Verschwindet nicht der eine Gott, wenn ihm seine Identifizierung mit dem Ei-
nen einer Weltwirklichkeit versagt wird?
 
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