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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0522
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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weil nichtig und ganz gleichgültig. Die Frage kann ihre Antwort finden in der Stimmung
der Zufälligkeit, die das Nichts selber bedeutet: es ist, was eigentlich nichts ist.
Solchen anderen nicht Seinsgewißheiten, sondern Seinsungewißheiten ist mit Ar-
gumenten allein nicht beizukommen. Das Leben der Glaubenslosigkeit und damit der
Sinnlosigkeit bedarf der Erweckung durch philosophische Gedanken und die ihnen
verbundene Lebenspraxis, bedarf des Schicksals. Vergeblich ist der Versuch, die Grund-
gewißheit erzwingen, die widersprechenden Zustände des Menschen bezwingen zu
wollen durch rationale oder durch philosophisch-spekulative Gedanken als solche.
Hier an der Grenze, wo hell wird, daß wir da sind, daß die Welt ist, daß wir mögli-
che Existenz sind, da ist mit einem Schlage dieses Bewußtsein selber ein Offenbarwer-
den des Grundes des Seins. Die beschwörende Frage: warum ist nicht nichts? erzeugt
im Schwindligwerden das entschiedenste Seinsbewußtsein und in ihm die geschicht-
liche Gewißheit des Sichübernehmens der Existenz. Der Mensch sagt zu sich: Es ist
nicht Nichts. Es soll sich zeigen, was ist. Es soll offenbar werden. Dazu sagt der in der
Reflexion erwachende Mensch zu sich: Ich kann nicht umsonst, nicht für Nichts in die-
ses Dasein gelangt sein.
Daß das, was hier offenbar wird, nicht identisch ist bei allen Menschen und nicht
in allen Situationen und Zuständen des einzelnen Menschen, ist von so großer Bedeu-
tung, daß Philosophie, die das vergißt, an einem wesentlichen Punkte ihres Wahrheits-
sinnes versagen muß. Es handelt sich hier nicht um ein psychologisches Problem der
Beschreibung und verstehenden Deutung, sondern um das Existenzproblem der Kom-
munikation.
Wie jene Frage: warum ist nicht Nichts? erfahren wird und ob sie überhaupt erfah-
ren wird, ist ein Moment der existentiellen Grundverfassung.
| Die Antworten auf die Frage, was das Sein sei und was die Frage bedeute, würden
sich wandeln, wenn sie überall in der Form dieses Fragens zur Erscheinung kämen. Das
Sein wäre etwa der eine Gott, Atman-Brahman, Nirwana, Tao, das Eine Plotins, die Sub-
stanz Spinozas, das Nichts, die Wüste, die Leere, das Chaos. Geschichtlich sind die Er-
scheinungen, in deren Gedanken das Sein je eigentümlich spricht. Aber immer ist der
Mensch die Stätte, an der als jeweiliger Gegenwärtigkeit in allen Weisen des Umgrei-
fenden, das er ist, dies vielfache Offenbarwerden vor sich geht: im Dasein, im Bewußt-
sein überhaupt, in der möglichen Existenz, im Geist, in der Vernunft.
»Sein« aber ist noch gleichsam eine Chiffer, die, wegen ihrer völligen Leerheit für
jede Möglichkeit offen, alle Chiffern überschreitend, berührt, doch nicht erreicht das,
was schlechthin transzendent und zugleich ganz gegenwärtig ist. Sein bedeutet etwas,
das über alles Bedeuten hinausliegt: die Wirklichkeit selber, das, was mich hält im Ur-
sprung, der ich bin.
(9) Wird in den Grund gefragt (warum ist etwas, warum nicht nichts?), so geschieht
das ohne Ausnahme in Kategorien, die allein in den Formen gegenständlichen Wis-
sens für uns sind. Mit ihnen soll denkend getroffen werden, was in ihnen doch nicht

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