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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0546
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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das, was Widerhall findet, angeeignet und in der Breite verwirklicht wird. Zum ersten-
mal in der Geschichte ist politisch daher der demokratische (Kant sagt: republikani-
sche) Weg der einzige für die menschlichen Chancen. Die Freiheit des Einzelnen und
die politische Freiheit im ganzen treiben einander hervor.
Wenn in der totalitären Welt die politische Freiheit zerstört, die innere Freiheit in
einem noch nie dagewesenen Maße bedrängt wird, dann ist die Frage, ob die politi-
sche Freiheit, als Bedingung aller Freiheit in der Welt, sich entfaltet und dann ohne
Gewalt, die gegen ihr Wesen ist, durch Überzeugungskraft in den Menschen, schließ-
lich aller Menschen verwirklicht wird. In der politisch freien Welt wird heute entschie-
den, ob Befreiung zur Freiheit führt oder nicht.
Es gibt keine zureichende Antwort durch das Ausdenken eines historisch-soziolo-
gischen Verlaufs, keine durch ein vermeintliches Wissen von der Realität der Men-
schen, wie sie nun einmal sei. Antwort wird zuletzt und allein geben der Entschluß der
einzelnen Menschen. Wie der Mensch als Einzelner und in gemeinschaftlichem Wil-
len aus Freiheit seine Freiheit gestaltet, das liegt an ihm.
Jeder ist allein sich selbst der Beweis für das, was möglich und was nicht möglich ist.
Dieser Beweis entspringt und gewinnt Kraft in der Kommunikation. Die Wirklichkei-
ten von Menschen, die sie selbst sind, werden gleichsam eine Garantie für die Chancen.

| 3. Was der Mensch ist

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Daß aus der Befreiung die Freiheit des Menschen hervorgehen könne, wurde geleug-
net durch Hinweis auf die Realität des Menschen:
Die überwältigende Mehrzahl, wenn nicht alle Menschen seien, wenn frei auf ei-
gene Verantwortung gestellt, in Wahrheit ratlos und unglückselig. Ruhe fänden sie nur
im Gehorsam. Die Anmaßung persönlicher Freiheit führe ins Verderben. Der einzelne
Mensch sei zur Freiheit nicht fähig. Der Übermut politischer Freiheit sei immer der Weg
zu neuer, härterer Knechtschaft. Die Völker seien zur politischen Freiheit nicht fähig.
In der Tat ist die Vorstellung, die der Mensch sich vom Menschsein macht, ein Ur-
sprung seiner Antwort auf die Situation, der wir uns heute gegenübersehen, auf die
Grenzsituationen, wie sie jederzeit an ihn herantreten, auf die Grundsituation, in der
er sich findet.
Wissen wir, was der Mensch sei? Dieses Wissen ist vielmehr selber ein Faktor des-
sen, was aus dem Menschen wird. Das Bild des Menschen ist ein Moment seines zu
sich kommenden Wesens. Wie und als was der Mensch sich zum Bilde macht, ist nicht
nur Hinnahme eines Gegebenen, sondern auch seine eigene Verantwortung.
Er kann verfallen an das, was er im allgemeinen von sich (anthropologisch, psycho-
logisch, soziologisch) weiß; aber er ist doch stets mehr als er von sich wissen kann. - Er
kann verfallen an sein Wissen von sich in der Geschichte; aber er ist ein die Geschichte
übergreifendes, in seiner Geschichte der Ewigkeit verbundenes Wesen (a und b).
 
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