Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
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ten erwachsenes Reich. Es ist durch die Vielfachheit der zur Sprache drängenden Mächte gar
nicht einheitlich und steht doch unter der Idee und Wirklichkeit des Einen. Ohne in diesem
Reiche uns zu bewegen und betroffen zu sein, versinken wir in Dumpfheit. Aber dieses Reich
selber ist den Trübungen und Verkehrungen ausgesetzt, läßt in seinem Lichtraum uns auf-
schwingen und von Staubwolken verdunkelt werden.
Die Wendung, »höchstens« mythologisierend könne in diesem Reiche gesprochen werden,
verlangt ein anderes nicht mythologisierendes Sprechen. Die Unterscheidungen, die man reli-
gionsgeschichtlich zwischen Mythos und Offenbarung und zwischen Weisen des Mythos ge-
macht hat, heben den einen radikalen Unterschied zwischen Chiffernsprache und empirischer
Realität nicht auf. Ich selber habe mich gegen die Entmythologisierung gewendet. Verlangt man
das andere Sprechen, so behauptet man unwillkürlich die Gottheit als Realität in ihrer Leibhaf-
tigkeit. Diese Weise der Realität läßt uns im Philosophieren die Gottheit selber und unsere Frei-
heit verlorengehen.
»>Transzendenz< kann eben nichts Anderes, nichts Bestimmteres meinen als dies, daß es hinter und
über und als Zukunft vor der menschlichen Tat irgendein Offenes, eine Art Abgrund gebe, in welchen -
vielleicht als Weiser, vielleicht als Narr, vielleicht begnadigt, vielleicht gerichtet, vielleicht zu seinem
Heil, vielleicht zu seinem Unheil - je und je kopfüber hineinzustürzen des Menschen Bestimmung sei.«
Das scheint eine nicht geistlose Persiflage der philosophischen Denkungsart. Der Sinn der
Worte, die Barth gebraucht, ist für uns vermutlich ein anderer als für ihn. Aber die Persiflage re-
flektiert noch in ihrem ganz verborgenen Spiegel ein wenig von der Unruhe des Menschen, dem
das Leben ernst geworden ist. Karl Barth spricht sein Urteil zum Beispiel, wenn von einem his-
torischen, vergangenen Tatbestand die Rede ist. Von einer Sekte in Japan aus dem 15. Jahrhun-
dert, deren dem Protestantismus zum Teil merkwürdig analoge Positionen er vortrefflich be-
schreibt, sagt er zuletzt: sie bleiben doch arme verlorene Heiden.595 Sein Urteil über die von ihm
charakterisierte Weise, die Transzendenz zu denken, ist kaum verborgen. Die so denken, sind
nach Barth vermutlich nicht »Weise, Begnadigte, zum Heil Gelangte«, sondern »Narren, Ge-
richtete, ins Unheil gelangte arme Menschen«. Welche Menschen, welche Großen, die uns den
Weg erleuchtet haben, würden unter dieses Verdikt fallen!
»Und das etwas öde Gebot der Toleranz, d.h. der Unterlassung aller | >Verabsolutierungen<, in Wirk-
lichkeit: der Vermeidung von positiven Aussagen über ihren allfälligen Gehalt oder ihre allfällige Wei-
sung scheint das einzige relativ Sichere zu sein, was sich aus der Anschauung dieses Gespenstes ergeben
kann. «596
Das »etwas öde Gebot der Toleranz« läßt sich, wie es scheint, auf dem Grunde dieses Offen-
barungsglaubens nicht verstehen. Es ist wahrhaftig nicht öde:
In der Politik ist es der Grund von Rechten und Pflichten, durch die wir heute, unendlich
dankbar, leben. Es ist die großartige menschliche Überwindung des unmenschlichen kirchli-
chen Dogmenglaubens der Zeit der Religionskriege. Wer sich historisch in die Zeiten der Refor-
mation und ihrer Folgen zurückversetzt, in diesen Hexensabbath, zu dem sich der Kampf im
Reich der Chiffern verkehrte, wer die Männer hört, die damals mutig und opfervoll der Toleranz
den Weg bereiteten, ist noch heute beschwingt.
Innerlich aber ist die Toleranz wesentlich als der Ausdruck des Willens zur Kommunikation.
Hier wäre Toleranz als bloße Duldung, wie sie politisch sinnvoll und erreichbar ist, eine Beleidi-
gung. Offensein, sich angehen lassen, anerkennen ist das Wesen dieser Toleranz. »Öde« könnte
sie nur sein unter der Voraussetzung, daß allein der theologisch ausgelegte Offenbarungsglaube
nicht öde wäre. Die Toleranz ergibt sich nicht aus der Anschauung eines Gespenstes.
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ten erwachsenes Reich. Es ist durch die Vielfachheit der zur Sprache drängenden Mächte gar
nicht einheitlich und steht doch unter der Idee und Wirklichkeit des Einen. Ohne in diesem
Reiche uns zu bewegen und betroffen zu sein, versinken wir in Dumpfheit. Aber dieses Reich
selber ist den Trübungen und Verkehrungen ausgesetzt, läßt in seinem Lichtraum uns auf-
schwingen und von Staubwolken verdunkelt werden.
Die Wendung, »höchstens« mythologisierend könne in diesem Reiche gesprochen werden,
verlangt ein anderes nicht mythologisierendes Sprechen. Die Unterscheidungen, die man reli-
gionsgeschichtlich zwischen Mythos und Offenbarung und zwischen Weisen des Mythos ge-
macht hat, heben den einen radikalen Unterschied zwischen Chiffernsprache und empirischer
Realität nicht auf. Ich selber habe mich gegen die Entmythologisierung gewendet. Verlangt man
das andere Sprechen, so behauptet man unwillkürlich die Gottheit als Realität in ihrer Leibhaf-
tigkeit. Diese Weise der Realität läßt uns im Philosophieren die Gottheit selber und unsere Frei-
heit verlorengehen.
»>Transzendenz< kann eben nichts Anderes, nichts Bestimmteres meinen als dies, daß es hinter und
über und als Zukunft vor der menschlichen Tat irgendein Offenes, eine Art Abgrund gebe, in welchen -
vielleicht als Weiser, vielleicht als Narr, vielleicht begnadigt, vielleicht gerichtet, vielleicht zu seinem
Heil, vielleicht zu seinem Unheil - je und je kopfüber hineinzustürzen des Menschen Bestimmung sei.«
Das scheint eine nicht geistlose Persiflage der philosophischen Denkungsart. Der Sinn der
Worte, die Barth gebraucht, ist für uns vermutlich ein anderer als für ihn. Aber die Persiflage re-
flektiert noch in ihrem ganz verborgenen Spiegel ein wenig von der Unruhe des Menschen, dem
das Leben ernst geworden ist. Karl Barth spricht sein Urteil zum Beispiel, wenn von einem his-
torischen, vergangenen Tatbestand die Rede ist. Von einer Sekte in Japan aus dem 15. Jahrhun-
dert, deren dem Protestantismus zum Teil merkwürdig analoge Positionen er vortrefflich be-
schreibt, sagt er zuletzt: sie bleiben doch arme verlorene Heiden.595 Sein Urteil über die von ihm
charakterisierte Weise, die Transzendenz zu denken, ist kaum verborgen. Die so denken, sind
nach Barth vermutlich nicht »Weise, Begnadigte, zum Heil Gelangte«, sondern »Narren, Ge-
richtete, ins Unheil gelangte arme Menschen«. Welche Menschen, welche Großen, die uns den
Weg erleuchtet haben, würden unter dieses Verdikt fallen!
»Und das etwas öde Gebot der Toleranz, d.h. der Unterlassung aller | >Verabsolutierungen<, in Wirk-
lichkeit: der Vermeidung von positiven Aussagen über ihren allfälligen Gehalt oder ihre allfällige Wei-
sung scheint das einzige relativ Sichere zu sein, was sich aus der Anschauung dieses Gespenstes ergeben
kann. «596
Das »etwas öde Gebot der Toleranz« läßt sich, wie es scheint, auf dem Grunde dieses Offen-
barungsglaubens nicht verstehen. Es ist wahrhaftig nicht öde:
In der Politik ist es der Grund von Rechten und Pflichten, durch die wir heute, unendlich
dankbar, leben. Es ist die großartige menschliche Überwindung des unmenschlichen kirchli-
chen Dogmenglaubens der Zeit der Religionskriege. Wer sich historisch in die Zeiten der Refor-
mation und ihrer Folgen zurückversetzt, in diesen Hexensabbath, zu dem sich der Kampf im
Reich der Chiffern verkehrte, wer die Männer hört, die damals mutig und opfervoll der Toleranz
den Weg bereiteten, ist noch heute beschwingt.
Innerlich aber ist die Toleranz wesentlich als der Ausdruck des Willens zur Kommunikation.
Hier wäre Toleranz als bloße Duldung, wie sie politisch sinnvoll und erreichbar ist, eine Beleidi-
gung. Offensein, sich angehen lassen, anerkennen ist das Wesen dieser Toleranz. »Öde« könnte
sie nur sein unter der Voraussetzung, daß allein der theologisch ausgelegte Offenbarungsglaube
nicht öde wäre. Die Toleranz ergibt sich nicht aus der Anschauung eines Gespenstes.
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