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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0585
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484

Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

del, das stets spricht, aber in keinem Sprechen endgültig vorliegt, in jeder eigentlichen
Erscheinung ewig gegenwärtig, in keiner als solcher absolut ist.
Die historische Untersuchung führt als solche keineswegs zum Glauben hin. Sie
zeigt die Erscheinungen des Glaubens zwar verstehend, aber gleichsam von außen.
Doch sie vergegenwärtigt ein Wissen, in dem die Selbsterhellung des Glaubens sich
bewegen kann.
Der Sinn der historischen Erkenntnis der Bibel ist nicht kritische Vernichtung
durch Relativierung und Entlarvung, sondern ein Weg zur historisch richtigen und
wahren Vergegenwärtigung jener religiösen Erfahrungen, die für uns ihren eigentli-
chen Sinn erst finden, wenn sie uns ansprechen, von uns angeeignet oder abgestoßen
werden.
Der außerordentlich gründlichen Arbeit theologischer Historiker verdanken wir,
daß wir die Erscheinungen und Wandlungen des Glaubens und seine heterogenen
Motive kennen können. Wenn die historischen Fakten redlich offengelegt werden,
finden wir den für Glaubenswahrhaftigkeit unerläßlichen Boden.
494 | Suchen wir aber in historischer Untersuchung den Anfang und Ursprung der neu-
testamentlichen Offenbarung selber, so ist er nicht zu finden. Wo ist der Ursprung? In
Jesus als geschichtlicher Wirklichkeit? Im Glauben der Apostel? In einer Phase, die
nach Overbeck als das Urgeschichtliche der Natur der Sache nach für immer unzu-
gänglich ist?600 Was wir historisch finden, ist noch nicht die Offenbarung, sondern die
Realität des lebenden und hingerichteten Jesus. Dann aber ist es nicht mehr Offen-
barung, sondern schon Auslegung der Offenbarung.
Für die geschichtliche Herkunft unseres gemeinsamen Denkens ist diese Ge-
schichte nicht zuerst als historisches Wissen da, sondern als die stets wiederholte und
stets neue Aneignung. Sie ist gefühlt und bejaht als der Grund des eigenen Wesens.
Das historische Wissen kann ebensowohl die Vernichtung dieser geschichtlichen Er-
fülltheit zur Folge haben (durch die Relativierung von allem) wie ihre Steigerung
(durch das Bewußtsein ewiger Gegenwart). Das eigentlich Geschichtliche ist der un-
endliche Grund, der nicht in eine Doktrin zu einem Allgemeinen aufgelöst wird. Der
Grund kann der Substanz seines Wesens entsprechend in der Erscheinung verwandelt,
aber nicht als historisch Wißbares restauriert werden.
(d) In der freien Aneignung der Bibel geschieht die Erweckung und Steigerung ur-
sprungsverschiedener Antriebe. Dort finden sich bestätigt kriegerische Lust und die
nicht widerstehende Demut des Erleidens, der nationale Gedanke und der Mensch-
heitsgedanke, der Polytheismus und der Monotheismus, das Priestertum und die pro-
phetische Religion. Dort hören wir von Gesetzeserkenntnis und Gotteserkenntnis, von
Gerechtigkeit und Liebe. Dort spricht reine Transzendenz und wird die Immanenz des
menschgewordenen Gottes verkündet. Es gibt dort Fanatismus und freie Bescheidung.
Gott begegnet als Garant für weltliche Zwecke und als reine, zweckfreie Chiffer des
Glaubens. Es kommen vor Weltverneinung und Weltbejahung, mystisches Dunkel
 
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