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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0588
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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sondern im »Geist«.601 Er spricht in der Bibel nur zu dem, dessen Geist diesem Geiste
entgegenkommt. Nicht schon das gelehrte Wissen und nicht irgendeine Erkenntnis,
sondern erst die Aneignung in der Auslegung erweckt zur gegenwärtigen Wirklichkeit
ursprünglichen Glaubens.
(h) In der Auslegung und Aneignung der Bibel besteht ein Unterschied. Die Theo-
logie kennt den >Schriftbeweis<, die Philosophie nicht. Beide legen aus, aber die Philo-
sophie so, daß der Bibel kein grundsätzlicher Vorrang vor anderen Texten zukommt.
Wer den >Schriftbeweis< kennt, behält sich praktisch die richtige Auslegung vor, sei
es aus eigener Vollmacht (wie Luther), sei es durch die katholische Instanz der Kirche.
Andere Auslegungen gelten als falsch. Die Erfahrung lehrt, daß die Streitigkeiten der
theologischen Auslegungen endlos sind. Der eigentliche Kampf geht um die Autori-
tät, die die Vollmacht zur richtigen Auslegung hat. Die Selbstgewißheit der neuen Aus-
legung durch einen Reformator, der für sich die Autorität in Anspruch nimmt, ist Un-
ruhe für die Umwelt, wenn sie darauf hört. Ruhe schafft die stille Gewalt der kirchlichen
Autorität. Es ist ärgerlich, der Methode des Kampfes durch Schriftbeweis zu folgen,
gleicherweise für sehende Offenbarungsgläubige wie für philosophische Menschen.
Es ist ein Schlachtfeld, auf dem zutage tritt, was in solcher Weise des dogmatisch be-
weisenden Glaubens liegt: die Ketzerverfolgung, Luthers »festes Behaupten«,602 steri-
les Bemühen um Glaubenserkenntnis, sophistische Versuche des Ausgleichs des Wi-
dersprechenden in der Bibel.
Dieses Widersprechende hat historisch die Folge gehabt, daß ent|gegengesetzte
Glaubensweisen, fast jede Art von Lebenspraxis, fast jeder konkrete Entschluß sich auf
die Bibel berufen konnten. Es läßt sich so viel aus der Bibel rechtfertigen, daß man ge-
neigt ist, zu sagen, alles sei in ihr widersprechend. Das ist begreiflich, weil die Bibel
eine Sammlung von Schriften ist, deren Entstehung ein Jahrtausend umfaßt.
Wer den Schriftbeweis verwirft, weil ein Verfahren, mit dem man alles beweisen
kann, in der Tat nichts beweist, und weil in der Sphäre der Glaubenserhellung Beweise
überhaupt sinnwidrig sind, läßt für sich gelten, was ihm in der Aneignung zuteil wird.
Er bescheidet sich vor anderer Glaubenswirklichkeit, wird in bezug auf Aussagen nie
absolut selbstgewiß. Alle wesentliche Entscheidung liegt für ihn in den Entschlüssen
seines Lebens, in der Kontinuität seiner Existenz, in der Erscheinung des Daseins, nicht
in Bekenntnisakten und Glaubenssätzen. In der Bibel findet er den Grund sowohl die-
ser Freiheit wie dieses Ernstes.
Die Autorität liegt nicht im Wort, nicht im Text, nicht in der Bibel, sondern in dem
Umgreifenden, was in ursprünglicher Aneignung, im freien Umgang mit der Bibel,
subjektiv und objektiv zugleich ist.
(i) Können wir die Offenbarung hören? In jedem Fall ihren Inhalt in menschlicher
Sprache, nicht aber dies, daß sie Offenbarung sei.
Es ist zu unterscheiden die Offenbarung und der Offenbarungsglaube. Die Offen-
barung, wenn sie wirklich wäre, kennt keine Bedingungen; wenn Gott selbst spricht,

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