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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0611
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527

510 Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
Das protestantische Prinzip der Befreiung im biblischen Glauben hat sich nicht
verwirklicht. Vielmehr ist es durch die Erzeugung vieler neuer »Katholizismen« (in Kir-
chenansprüchen, Lehren, Liturgien, Titeln) verschleiert. Der wahre und geschichtlich
wirksame Aufschwung des Protestantismus im unbedingten Ernst der glaubenden Le-
benspraxis, etwa in der »innerweltlichen Askese«, hat sich verbunden, aber braucht
nicht verbunden zu sein mit einem fanatischen Dogmatismus.
Historisch betrachtend kann ich alle konkreten Christlichkeiten als Erscheinun-
gen innerhalb des umfassenden, selber nicht definierbaren und nicht idealtypisch als
Ganzes konstruierbaren Christentums verstehen. Aneignend kann ich mir diese ge-
schichtlich besonderen Gestalten, in die Schwebe gebracht, zur Orientierung werden
lassen.
Das protestantische Prinzip faßt in sich: Teilnahme an der biblischen Religion in
den geschichtlichen Kleidern von Konfessionen - immer wieder neues Sichergreifen-
lassen vom Ursprung - kommunikative Verbundenheit der Glaubenden quer durch
alle Konfessionen - Liberalität in bezug auf die geschichtlichen Kleider - lebendiger
Kampf in der Sprache der Chiffern - Bewährung durch Lebenspraxis.
| 4. Unvereinbarkeit von Offenbarungsglauben und philosophischem Glauben
oder eine Möglichkeit des Sichtreffens?
Können diese beiden Glaubensursprünge nicht zur Kommunikation in der Geschie-
denheit gelangen, so bleiben auch Theologie und Philosophie, sich ausschließend, ge-
trennt.
Die ursprüngliche Einheit der griechischen Religion und Philosophie wurde nicht
aufgehoben, als einzelne Denker aus der Quelle lebten, die erst durch sie selbständig
zu fließen begann. Die Einheit wurde, ungeplant, aber entschieden, nur im Abend-
land, etwa seit dem dreizehnten Jahrhundert, aufgehoben. Es geschah einerseits durch
die priesterlichen Machtansprüche der kirchlichen Autorität, als sie das Denken selbst
zu kontrollieren forderte, andererseits durch die Macht der Wahrheit in der Existenz
selbstverantwortlicher Einzelner. Heute könnte das Ziel sein nicht die Vereinheitli-
chung, nicht autoritäre Lenkung von einer Seite oder einer übergeordneten Instanz
her, sondern allein der Wiedergewinn der einst fraglosen Einheit durch die nunmehr
bewußte Einheit der Unterschiedenen in der Kommunikation der sich immer auch ab-
stoßenden Pole.
(a) Erinnern wir uns, wodurch Offenbarungsglaube und philosophischer Glaube getrennt
sind:
Getrennt sind sie durch die Weise ihrer Selbstbegründung aus ihrer Herkunft: ent-
weder aus der Offenbarung oder aus dem im Medium der Vernunft geschehenden Sich-
geschenktwerden des Einzelnen, das ihm hell wird durch seine Teilnahme an der phi-
losophischen Überlieferung.
 
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