544
Philosophie und Offenbarungsglaube
nissen betrifft, so bitte ich Sie zu bedenken, daß die Wahrheit auch eine soziale Seite
hat. Die Kirche ist eine Gemeinschaft des Glaubens, und als Gemeinschaft des Glau-
bens muß sie auch ihren gemeinsamen Glauben ausdrücken.
Jaspers
Auf drei Punkte habe ich zu antworten. Sie sagen: Vertrauen nicht zu einer Chiffer,
sondern zu einer Person. Vertrauen aber - wenn es zu haben mir geschenkt ist gegen
allen Augenschein - geht zum Grund der Transzendenz, vermittels der Chiffer des per-
sönlichen Gottes allein dorthin. Dies Vertrauen wundert mich. Die Chiffer des per-
sönlichen Gottes ist gerade geeignet, alles das, was nicht Vertrauen erzeugt, anklagend
vorzubringen. Sollte ich je einer Persönlichkeit Gottes endgültig vertrauen, so wäre
70 dieses Vertrauen zugleich auch entsetzlich enttäuscht. Nur das Vertrauen, das über
alle Chiffern hinaus - auch über den persönlichen Gott hinaus - einen Anker wirft,
kann vielleicht sich bewahren.
Der zweite Punkt: Sie zitieren: »Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben.« Sie wol-
len damit bezeugen, daß der Offenbarungsglaube sich selbst nicht sicher ist. Da tref-
fen wir uns. Wenn wir uns gewiß sind, haben wir doch keine Sicherheit. Daß wir uns
gewiß sind - so unerschütterlich es uns zu sein scheint -, es ist doch nicht einmal si-
cher, daß mir dieses Gewißsein des Vertrauens nicht einmal ausbleibt.
Der dritte Punkt: Sie sagen, daß die Wahrheit eine soziale Seite hat. Die Kirche sei
eine Gemeinschaft des Glaubens, diese Gemeinschaft brauche ein Bekenntnis. Zu-
nächst: Ich stimme Ihnen zu. Glaubenswahrheit kann nur in Kommunikation wirk-
lich werden. Ich zitiere immer wieder das herrliche Wort von Nietzsche: »Die Wahr-
heit beginnt zu zweien.«685 Da ist die Kommunikation so entscheidend, daß meine
Philosophie den Satz zugrundelegt: »Wahrheit ist, was uns verbindet.«686 Die Kommu-
71 nikation ist der Ort der Wahrheit. Behauptungen, Aussagen, Be|kenntnisse sind For-
men der Mitteilung, die unter einer höheren Instanz stehen, die nirgends in der Welt
als Autorität anzutreffen ist, sondern allein durch die Bewährung in der Kommunika-
tion spricht. Etwas anderes aber ist die soziale Seite. Wir müssen uns im Staate als Ge-
samtheit alle zusammenfinden. Jeder ist Staatsbürger, niemand wird ausgeschlossen.
Keiner kann sich ausschließen. Muß aber in diesem Sinne eine Kirche sein? Ich halte
sie, weil sie so große Chancen in sich birgt, für wünschbar, aber nicht für notwendig.
Wenn Kirche ist, so ist dann eine weitere Frage, ob sie zu ihrer Vereinigung ein Bekennt-
nis braucht, ob sie bekennende Kirche sein muß. Mir leuchtet das nicht ein. Gemeinde
ist wichtiger als die Kirche, Sekte wirksamer als die Kirche. Könnte nicht der Kanon
heiliger Bücher, die Form des Kultus, die Lebendigkeit der Kommunikation genügen?
Ist nicht immer die große Gefahr der Kirche nah, als soziales Gebilde zugleich politi-
sches Gebilde zu werden? Sie als Kirchenhistoriker kennen viel besser als ich die Kir-
chengeschichte als Unheilsgeschichte, als Geschichte politischen Machtwillens. Weil
Philosophie und Offenbarungsglaube
nissen betrifft, so bitte ich Sie zu bedenken, daß die Wahrheit auch eine soziale Seite
hat. Die Kirche ist eine Gemeinschaft des Glaubens, und als Gemeinschaft des Glau-
bens muß sie auch ihren gemeinsamen Glauben ausdrücken.
Jaspers
Auf drei Punkte habe ich zu antworten. Sie sagen: Vertrauen nicht zu einer Chiffer,
sondern zu einer Person. Vertrauen aber - wenn es zu haben mir geschenkt ist gegen
allen Augenschein - geht zum Grund der Transzendenz, vermittels der Chiffer des per-
sönlichen Gottes allein dorthin. Dies Vertrauen wundert mich. Die Chiffer des per-
sönlichen Gottes ist gerade geeignet, alles das, was nicht Vertrauen erzeugt, anklagend
vorzubringen. Sollte ich je einer Persönlichkeit Gottes endgültig vertrauen, so wäre
70 dieses Vertrauen zugleich auch entsetzlich enttäuscht. Nur das Vertrauen, das über
alle Chiffern hinaus - auch über den persönlichen Gott hinaus - einen Anker wirft,
kann vielleicht sich bewahren.
Der zweite Punkt: Sie zitieren: »Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben.« Sie wol-
len damit bezeugen, daß der Offenbarungsglaube sich selbst nicht sicher ist. Da tref-
fen wir uns. Wenn wir uns gewiß sind, haben wir doch keine Sicherheit. Daß wir uns
gewiß sind - so unerschütterlich es uns zu sein scheint -, es ist doch nicht einmal si-
cher, daß mir dieses Gewißsein des Vertrauens nicht einmal ausbleibt.
Der dritte Punkt: Sie sagen, daß die Wahrheit eine soziale Seite hat. Die Kirche sei
eine Gemeinschaft des Glaubens, diese Gemeinschaft brauche ein Bekenntnis. Zu-
nächst: Ich stimme Ihnen zu. Glaubenswahrheit kann nur in Kommunikation wirk-
lich werden. Ich zitiere immer wieder das herrliche Wort von Nietzsche: »Die Wahr-
heit beginnt zu zweien.«685 Da ist die Kommunikation so entscheidend, daß meine
Philosophie den Satz zugrundelegt: »Wahrheit ist, was uns verbindet.«686 Die Kommu-
71 nikation ist der Ort der Wahrheit. Behauptungen, Aussagen, Be|kenntnisse sind For-
men der Mitteilung, die unter einer höheren Instanz stehen, die nirgends in der Welt
als Autorität anzutreffen ist, sondern allein durch die Bewährung in der Kommunika-
tion spricht. Etwas anderes aber ist die soziale Seite. Wir müssen uns im Staate als Ge-
samtheit alle zusammenfinden. Jeder ist Staatsbürger, niemand wird ausgeschlossen.
Keiner kann sich ausschließen. Muß aber in diesem Sinne eine Kirche sein? Ich halte
sie, weil sie so große Chancen in sich birgt, für wünschbar, aber nicht für notwendig.
Wenn Kirche ist, so ist dann eine weitere Frage, ob sie zu ihrer Vereinigung ein Bekennt-
nis braucht, ob sie bekennende Kirche sein muß. Mir leuchtet das nicht ein. Gemeinde
ist wichtiger als die Kirche, Sekte wirksamer als die Kirche. Könnte nicht der Kanon
heiliger Bücher, die Form des Kultus, die Lebendigkeit der Kommunikation genügen?
Ist nicht immer die große Gefahr der Kirche nah, als soziales Gebilde zugleich politi-
sches Gebilde zu werden? Sie als Kirchenhistoriker kennen viel besser als ich die Kir-
chengeschichte als Unheilsgeschichte, als Geschichte politischen Machtwillens. Weil