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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0653
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552

Philosophie und Offenbarungsglaube

gen? Meinerseits setze ich dem keine andere Feststellung entgegen, wenn ich diese
Feststellung bezweifle. Ich kann nur wünschen, daß Ihre Feststellung in Ihrem Sinne
nicht endgültig wäre. Daß ich dies zu wünschen wage, beruht darauf, daß ich »Gott
habe in Jesus Christus aller Welt sich offenbart«, nicht verstehe. Ich verstehe nicht, was
es heißen soll, daß Christus Gottes Sohn, menschgewordener Gott sei. Ich verstehe es
nicht - ich spreche gar nicht davon, daß ich es glaube -, sondern wenn ich auch ohne
Glauben es verstehen möchte, so gelingt es mir nicht. Es ist etwas grundsätzlich ande-
res in dem Satze, Jesus Christus sei menschgewordener Gott, als das, was man in völ-
lig anderem Sinne Offenbarung nennen könnte, daß sich Gott in solchen Menschen
wie Sokrates, Buddha und anderen gezeigt habe. Das ist nicht zu vergleichen in dem
Sinne, den der ursprüngliche Christ meint, und in dem Sinne, den Sie mit Ihrer Fest-
stellung festhalten möchten. Glauben Sie mir, daß ich verstehen möchte, auch wenn
92 | ich dem Verstehen nicht zustimmen würde. Dieses Nicht-Verstehen ist wohl von der
gleichen Art wie das, welches ich einst von einem jungen, mir befreundeten Theo-
logen hörte, der mit innerer Zustimmung meine Vorlesungen als Student hörte und
dann eines Tages zu mir kam und sagte, betroffen und traurig und ratlos: »Ich verstehe
nicht, daß Sie nicht an Christus glauben, wo doch alles, was Sie sagen, dahin zu weisen
scheint.« Wollen wir nicht versuchen, unser Nicht-Verstehen gegenseitig als vorläufig
anzusehen, es nicht in Feststellungen oder Behauptungen zu fixieren, in Sätzen, in de-
nen Worte vorkommen, die der andere wenigstens jetzt als Worte schon nicht verste-
hen kann? Müssen wir nicht anerkennen, daß es sich hier um etwas handelt, das in
Sätzen überhaupt nicht angemessen gesagt werden kann?
Nun - da Sie mich so rückhaltlos zu sprechen ermächtigt haben - erlauben Sie mir
eine ganz andere fragende Erwägung, die Ihnen, wie ich vermute, unsinnig erschei-
nen muß und die doch dem Zusehenden, Nicht-Verstehenden immer wieder kommen
93 muß, obgleich mir bei meinen jetzt folgenden Darlegungen nicht ganz geheuer | ist.
Ich denke nämlich manchmal so: Die aktive Teilnahme am kirchlichen Leben liegt -
eine verläßliche Statistik darüber ist mir nicht bekannt; ich stütze mich auf gelegent-
liche Mitteilungen befreundeter Pfarrer - in Großstädten etwa so: Die Mehrzahl, in
manchen Städten fast alle, nimmt teil an Taufe, Hochzeit, Beerdigung, fünf bis sechs
Prozent der Menschen durch regelmäßigen Kirchenbesuch und vielleicht noch weni-
ger durch aktive Teilnahme an einem kirchlichen Gemeindeleben. Die Breite der Be-
völkerung ist nicht mehr ergriffen, will aber auch auf das Dasein der Feierlichkeit, der
Heiligung bestimmter großer Ereignisse im Schicksal jedes Menschen nicht verzich-
ten.692 Was hindert sie, am kirchlichen Leben überhaupt mitzuwirken? Von Theolo-
gen höre ich: Wie kann man die biblische Religion begreifen, wenn man sie auf den
Treibsand eines privaten, wenn auch guten Meinens einzelner Menschen stützen will?
Kirche, Dogma, Bekenntnis sind notwendig. Protestantisch, meines Erachtens, grün-
det sich der Glaube auf den Einzelnen und seine Unmittelbarkeit zur Transzendenz,
das allgemeine Priestertum. Aber hält sich nicht faktisch auch hier die Tradition an
 
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