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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0127
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Vernunft und Existenz

Vor der Transzendenz aber verschwindet die Unvollendung der Kommunikation
als die zeitlich daseiende Erscheinung der Wahrheit. Unsere Kommunikation wird
gleichsam beseelt durch etwas, das in metaphysisch spielenden Gedanken181 sich kund-
gibt: eines vorzeitlichen Ursprungs der zeitlichen Kommunikationsnotwendigkeit,
oder einer kommunikationsüberwindenden Endvollendung; diese Gedanken können
in ihrem Verschwinden nicht wißbar deutlich machen, aber augenblicksweise berüh-
ren, was als wirkliche Macht in echter Kommunikation hinreißender Antrieb ist:
Im Ursprung war das Eine, die Wahrheit, wie sie für uns unzugänglich ist. Aber das
verlorene Eine ist, als ob es in der Zerstreuung durch Kommunikation wiedergewon-
nen werden solle, als ob die Verwirrung des Vielen sich zur Ruhe im Ineinsschlagen
löse[n] könne, als ob eine vergessene Wahrheit nie wieder ganz erreicht würde.
Oder die Wahrheit liegt in der Zukunft: Im Zeitdasein zwar bleibt das Bewußtsein
der Grenze: Was nicht mitteilbar ist, ist, als ob es nicht sei, weil es für kein Bewußtsein
und Wissen da ist; aber gerade in der Mitteilung geht der Antrieb über diese Grenze hi-
naus, nicht etwa zurück in die Dumpfheit, sondern voran in grenzenlosem Offenbar-
werden, daß es sich zeige, was eigentlich ist, indem es in die Mitteilbarkeit trete; dann
102 aber geht der Antrieb auch noch | über jede existentiell hellste Klarheit hinaus, weil in
ihr stets ein Unbefriedigendes bleibt. Die hohen Augenblicke scheinbar restlosen Ein-
klangs der Kommunikation in durchdrungener Gegenwart aller Weisen des Umgrei-
fenden, des Wißbaren und der Transzendenz, erweisen sich zwar in der Zeit entweder
als irrig oder wiederum als Keime neuen Drängens zu ihrer Offenbarkeit, das heißt zu
der Kontinuität in der Zeit. Sie sind wie eine Antizipation einer möglichen, vollende-
ten Kommunikation, die zugleich vollendete Wahrheit und zeitloses Einssein der See-
len und des Alls bedeuten würde. Diese Unwirklichkeit einer ihr Ziel erreichenden
Kommunikation zu denken, bedeutet aber, die Kommunikation in einer transzenden-
ten Vollendung aufzuheben, in der es keiner Mitteilung mehr bedarf. Die Frage, ob wir
in dem grenzenlosen Kommunikationswillen von Vernunft und Existenz nicht eigent-
lich schon leben aus diesem uns lenkenden kommunikationslosen Sein, ist nicht zu
beantworten. Entweder fragt die Frage in ein für uns Leeres, oder es ist eine fraglose
Gewißheit, die der Mitteilbarkeit entbehrt und, fälschlich ausgesagt, sie nur selbst zer-
stören, d.h. die Verwirklichung der zu ihr treibenden bedingungslosen Kommunika-
tionsbereitschaft durch ein Scheinwissen um vollendete Kommunikation lähmen
würde.
Muß aber in der Transzendenz alle Kommunikation als der Mangel des Zeitdaseins
aufgehoben gedacht werden, so damit überhaupt alle Denkbarkeit:
Denke ich an den alten Satz, Gott sei die Wahrheit,182 so wäre diese Wahrheit - ver-
glichen mit allen Wahrheiten als Weisen einer Übereinstimmung - ohne alle Überein-
stimmung, da sie ungespalten, ohne Gegensätzlichkeit sie selber wäre. Sie ist ein in der
Tat leerer Gedanke, nur existentiell geschichtlich für mich erfüllbar. Dort, wohin ich
 
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