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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0157
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Vernunft und Existenz

nicht um die Dinge der Welt als solche, sondern um in ihnen und in allem Möglichen
das Sein selbst zu sehen, - die Denkerfahrung, die nicht ein Wissen von Etwas, sondern
Erfahrung des Seins im Vollzug des Denkens bringt. Es ist wie ein Operieren des Den-
kens, das den Menschen verwandelt, aber keinen Gegenstand hervorbringt. Es geht wie
ein Geheimnis durch die Zeiten, das doch jederzeit für den, der seiner teilhaft werden
will, offenbar ist, das in jeder Generation von neuem zu dem führen kann, was von Par-
menides wie von Anselm berichtet wird: dem unbegreiflichen Befriedigtsein in Gedan-
ken, die für den Nichtverstehenden formale Abstraktion, inhaltslose Torheiten sind.
146 | Das Bild des gegenwärtigen Philosophierens, wie es sich unter der bestimmenden
Wirkung Kierkegaards und Nietzsches zeigt, wurde in einigen Grundzügen skizziert.
Gegen dieses Philosophieren richten sich typische Einwände:
Man weist erstens auf andere Herkunft und subsumiert es unter einen historischen Ty-
♦ pus: da es schon dagewesen, also nicht neu ist, ist es ein altes, schon widerlegtes oder
faktisch erledigtes, das nur in Verhüllung als ohnmächtiges Gespenst wiederkehrt.
So heißt es, es sei der alte Idealismus, wirklichkeitsfern, schwach und täuschend.
Dazu ist zu sagen, daß ein Urteil in Bausch und Bogen, ohne einzugehen auf das
wirklich vollzogene Denken im einzelnen, nur schematisch subsumiert. Es spricht
nicht der Ernst des Selbstdenkens, das darin gewesen ist, sondern der Intellekt des Da-
rüberdenkens. Alles, was eigentlich Philosophie ist, wird in solcher Haltung Idealis-
♦ mus genannt. Der Einwerfende müßte sagen, was er selbst will und glaubt: es wird ent-
weder religiöser Offenbarungsglaube oder echte Gottlosigkeit oder unphilosophische,
positivistische, vermeintlich realistische, durchweg triviale Immanenz sein.
Ferner heißt es, diese Philosophie sei der Versuch, durch theologische Anleihen
das Nichts, zu dem die Philosophie als solche führe, aufzufüllen. Es handle sich, wie
♦ schon oft geschehen, um eine Säkularisierung protestantischer Theologie, oder gar
um eine verkappte Theologie.
Aber solcher Einwand verwechselt das schlechthin Humane mit dem eigentüm-
lich Christlichen, das Geschichtliche mit dem spezifisch Geschichtlichen der christ-
lichen Offenbarung. Es wird zunächst die täuschende Voraussetzung gemacht, daß das
147 Humane ohne den bestimmten | Offenbarungsinhalt und die darin wirksame Gnade
nichtig und leer sei; dann wird aber im vermeintlich theologischen Denken durch Er-
hellung gerade des Humanen, das wesentlich philosophisch und noch nicht christ-
licher Glaube ist, das Christliche fälschlich näher gebracht und leichter gemacht.
Vielleicht ist das Philosophieren in solchem Zusammenhang die bessere, weil wahr-
♦ haftigere, wenn auch negative Theologie:219 sie zeigt, wie weit Theologie von philo-
sophischen Gedanken lebt, die die Philosophie als die ihren sich nicht nehmen läßt.
Zweitens werden logische Einwände erhoben: Dies Philosophieren wolle nicht Wis-
senschaft sein und stelle doch allgemeingültige Behauptungen auf, widerspreche sich
 
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