156 Grundsätze des Philosophierens
sinngebende Führung in uns, die uns herausnimmt aus der Endlosigkeit des Beliebi-
gen, und die die Auswahl unserer Wege beim Studium und beim Forschen bestimmt.
Wir fühlen es wie eine Gewissenlosigkeit, wenn wir - unsere Ratlosigkeit betäubend -
uns dem blossen »Fleiss«, gleichsam der inneren Trägheit einer blossen Arbeit, über-
lassen, statt uns ständig bereit zu machen für die diese Arbeit erst lenkenden Ideen, die
im Ursprung aus dem Einen der Transcendenz sprechen.
Diese Führung aus dem Einen der Transcendenz ist jedoch keineswegs eindeutig.
Von niemandem kann sie als die allein und für Alle wahre ergriffen werden und nie-
mandem ist sie als Besitz zu eigen. Sie findet statt gleichsam aus der Zwiesprache des
Denkenden mit der Vieldeutigkeit des Erkennbaren. Sie verwirklicht sich durch eine
in sich continuierliche, voran und hinauf treibende[,] jeweils geschichtliche Gestalt
des Erkennens. Sie ist wie ein Versuch und ein Wagnis.
Hier liegt der tiefe Grund, warum Wissenschaft als erregende Funktion die Bedin-
gung aller Wahrheit und Wahrhaftigkeit in unserem Dasein wird:
ee. Wissenschaft als Bedingung aller Wahrhaftigkeit.133 - Wissenschaft enthüllt die
Täuschungen, mit denen ich mir das Leben leichter machen, mit denen ich den Glau-
ben ersetzen oder gar den Glauben selbst in die Garantie eines Gewusstseins verwan-
deln möchte. Sie vertreibt die Verschleierungen, mit denen ich geneigt bin, mir Rea-
litäten3 zu verbergen, die ich sie wissend nicht ertrage; sie löst die Verfestigungen auf,
die das unkritische Denken hervorbringt und an die Stelle der unendlichen Erforsch-
barkeit setzt; sie verwehrt alle täuschende Beruhigung.
Wissenschaft gibt mir das Maximum an Klarheit über die Situation des Menschen
und meine Situation. Sie ist die Bedingung, ohne die ich der Aufgabe des Wissenkön-
nens nicht genüge, die meinem Wesen mitgegeben ist, und die das grosse Schicksal
des Menschen ist, das ihn auf die Probe stellt, was er aushalten kann.
Wissenschaft entspringt der Redlichkeit und erzeugt sie. Es ist keine Wahrhaftig-
keit möglich, die nicht die wissenschaftliche Haltung und Denkungsart in sich aufge-
nommen hätte. Für die wissenschaftliche Haltung ist charakteristisch einmal das stän-
dige Unterscheiden des zwingend Gewussten vom nicht zwingend Gewussten (ich will
wissen, was ich weiss, und was ich nicht weiss), - damit zugleich das Wissen mit dem
Wissen des Weges, der zu ihm führte, - und das Wissen der Grenzen des Sinns, in de-
nen ein Wissen gilt. Wissenschaftliche Haltung ist weiter die Bereitschaft zur Hin-
nahme jeder Kritik an meinen Behauptungen. Für den denkenden Menschen - zumal
für den Forscher und Philosophen - ist Kritik Lebensbedingung. Er kann nicht genug
in Frage gestellt werden, um daran seine Einsicht zu prüfen. Noch die Erfahrung un-
berechtigter Kritik kann auf einen echten Forscher produktiv wirken. Wer sich der Kri-
tik entzieht, will nicht eigentlich wissen.
Realitäten im Ms. hs. Vdg. für Wirklichkeiten
sinngebende Führung in uns, die uns herausnimmt aus der Endlosigkeit des Beliebi-
gen, und die die Auswahl unserer Wege beim Studium und beim Forschen bestimmt.
Wir fühlen es wie eine Gewissenlosigkeit, wenn wir - unsere Ratlosigkeit betäubend -
uns dem blossen »Fleiss«, gleichsam der inneren Trägheit einer blossen Arbeit, über-
lassen, statt uns ständig bereit zu machen für die diese Arbeit erst lenkenden Ideen, die
im Ursprung aus dem Einen der Transcendenz sprechen.
Diese Führung aus dem Einen der Transcendenz ist jedoch keineswegs eindeutig.
Von niemandem kann sie als die allein und für Alle wahre ergriffen werden und nie-
mandem ist sie als Besitz zu eigen. Sie findet statt gleichsam aus der Zwiesprache des
Denkenden mit der Vieldeutigkeit des Erkennbaren. Sie verwirklicht sich durch eine
in sich continuierliche, voran und hinauf treibende[,] jeweils geschichtliche Gestalt
des Erkennens. Sie ist wie ein Versuch und ein Wagnis.
Hier liegt der tiefe Grund, warum Wissenschaft als erregende Funktion die Bedin-
gung aller Wahrheit und Wahrhaftigkeit in unserem Dasein wird:
ee. Wissenschaft als Bedingung aller Wahrhaftigkeit.133 - Wissenschaft enthüllt die
Täuschungen, mit denen ich mir das Leben leichter machen, mit denen ich den Glau-
ben ersetzen oder gar den Glauben selbst in die Garantie eines Gewusstseins verwan-
deln möchte. Sie vertreibt die Verschleierungen, mit denen ich geneigt bin, mir Rea-
litäten3 zu verbergen, die ich sie wissend nicht ertrage; sie löst die Verfestigungen auf,
die das unkritische Denken hervorbringt und an die Stelle der unendlichen Erforsch-
barkeit setzt; sie verwehrt alle täuschende Beruhigung.
Wissenschaft gibt mir das Maximum an Klarheit über die Situation des Menschen
und meine Situation. Sie ist die Bedingung, ohne die ich der Aufgabe des Wissenkön-
nens nicht genüge, die meinem Wesen mitgegeben ist, und die das grosse Schicksal
des Menschen ist, das ihn auf die Probe stellt, was er aushalten kann.
Wissenschaft entspringt der Redlichkeit und erzeugt sie. Es ist keine Wahrhaftig-
keit möglich, die nicht die wissenschaftliche Haltung und Denkungsart in sich aufge-
nommen hätte. Für die wissenschaftliche Haltung ist charakteristisch einmal das stän-
dige Unterscheiden des zwingend Gewussten vom nicht zwingend Gewussten (ich will
wissen, was ich weiss, und was ich nicht weiss), - damit zugleich das Wissen mit dem
Wissen des Weges, der zu ihm führte, - und das Wissen der Grenzen des Sinns, in de-
nen ein Wissen gilt. Wissenschaftliche Haltung ist weiter die Bereitschaft zur Hin-
nahme jeder Kritik an meinen Behauptungen. Für den denkenden Menschen - zumal
für den Forscher und Philosophen - ist Kritik Lebensbedingung. Er kann nicht genug
in Frage gestellt werden, um daran seine Einsicht zu prüfen. Noch die Erfahrung un-
berechtigter Kritik kann auf einen echten Forscher produktiv wirken. Wer sich der Kri-
tik entzieht, will nicht eigentlich wissen.
Realitäten im Ms. hs. Vdg. für Wirklichkeiten