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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0372
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Grundsätze des Philosophierens

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zelnen Menschen). Jeder arbeitetunbewusst an der Zukunft mit durch das, was er heute
tut. Die im Nihilismus endende Betrachtung steht vor dem Gang der Dinge in dem Be-
wusstsein, ihn nicht ändern zu können, ihm preisgegeben zu sein oder ihm als unver-
antwortlich gegenüberzustehen. Dies wird falsch, wo die Idee lebendig ist. Es wird eine
Verführung des Verstandes, sich wegen der verschwindenden Geringfügigkeit eigenen
Tuns für nichts zu halten. Wie bei Massenabstimmungen jede einzelne Stimme so we-
nig ausmacht, dass den Einzelnen die Unlust befällt, überhaupt daran teilzunehmen,
und doch das Abstimmungsergebnis allein aus den einzelnen Stimmen sich ergibt, so
ist es in allem Menschheitsgeschehen. Niemand, und auch der Mächtigste nicht, hat
die Welt und die Weltordnung in der Hand. Daher gilt für die Überzeugung aus der Idee:
Obgleich ich im Ganzen nicht weiss, was wird und wie es geschieht, tue ich, was ich
kann für das, woran als das Wahre und Menschliche ich glaube. Jeder muss ergreifen,
was greifbar ist, wo er steht.
Dritter Abschnitt: Der Sinn der Autorität
Wenn wir den Sinn von Autorität erörtern, so wissen wir von vornherein, dass Auto-
rität, die wir philosophisch klären und anerkennen, gegenüber ihrer ursprünglichen
Wirklichkeit schon verwandelt ist. Im Philosophieren muss Autorität verschwinden
oder sich neu gestalten. Der Gedanke will solch neuer Gestaltung Raum geben.
Auch ist von vornherein klar, dass die Erörterung der Autorität nur ein Klarwerden
des Unerklärbaren erreichen kann. Autorität ist nicht noch einmal ein Begriff der Da-
seinsordnung zu den vorhergehenden aus der Freiheit des Planens. Sie ist der grund-
sätzliche Gegenpol. Daher ist die Erörterung der Autorität so unbefriedigend, wenn
man erwartet, nun auch das Unerkennbare doch noch erkennend erobern zu können.
Der Sinn solcher Erörterungen ist daher nicht, nun ein Aufrichten von Autorität
in den Plan der Daseinsordnung aufzunehmen. Autoritäten lassen sich nicht herstel-
len. Vielmehr sollen die folgenden Erörterungen im Gegensatz zu den Entwürfen der
Idee veranlassen, nur hinzuhören auf den Grund, an den Grenzen zu spüren, was nicht
nichts ist, nicht zu verderben, was sich still dem Hörenden kund gibt. Keine Freiheit
kann die Inhalte der Autorität hervorbringen, wie Freiheit ihre Inhalte im Plan her-
vorbringt. Autorität ist hinzunehmen, wenn sie in ihrer Wahrheit sich zeigt. Sie ist
nicht herzustellen, sondern wiederzuerkennen. Sie verlangt nicht Bewältigung, son-
dern Hingabe.
Die Freiheit wirkt aus der Idee eines Zustandes von Gerechtigkeit und Frieden, in
dem alle menschlichen Möglichkeiten wachsen sollen. Die Autorität stellt vor Augen
das Bild eines Zustandes der Ruhe, des Gehorsams, des Lebens aus der Tiefe der Sub-
stanz bei Erleiden von Gewalt und Krieg. Die Verwirklichung jener Idee liegt in unend-
licher Zukunft; dies Bild zeigt das Gegenwärtige im Glanz der Erscheinung eines Ewi-
 
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