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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0440
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Grundsätze des Philosophierens

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geht von symbolischen Totalintuitionen bis zu begrifflich durchgebildetem Seinsbe-
wusstsein im Ganzen, von meditativem Innewerden bis zu praktischem Verhalten, von
vermeintlicher direkter Seinserkenntnis bis zu transcendierendem Klarwerden im Me-
dium wissenschaftlicher Methoden?
Wenn wir Philosophie und Religion nunmehr erörtern, gehen wir notwendig aus
von Fixierungen beider, in denen wir ein relativ gleichbleibendes Wesen - wie es uns
heute erscheint - zu treffen hoffen.
i. Religion überhaupt
a. Charakteristik der Religion überhaupt. - Wollen wir Religion von Philosophie un-
terscheiden, so scheint Religion durch Kultus, durch specifische Gemeinschaft der
Menschen und durch den Mythus ausgezeichnet.
Religion gibt es nicht ohne Kultus, d.h. ohne ein priesterliches Verwalten göttli-
cher Kräfte (Magie, Gnade, Wort). Es sind heilige Handlungen, z.T. für Zwecke in der
Welt (Wohlergehen, Sieg, Reichtum, langes Leben), z.T. ohne Zweck in der Welt, nur
zur Vergewisserung der Gottheit und zum Dank und Preis ihrer Gegenwart. Das Ewige
wird versinnlicht, gebannt an Ort und Zeit, an Gegenstände und Handlungen. Es wird
etwas abgesondert in der Welt als heilig, ein Bezirk, z.B. ein Tempelbezirk im Raum,
eine Zeit, z.B. Tageszeiten, Festzeiten. Gott ist in Raum und Zeit gegenwärtig. Ein Voll-
kommenes ist in der unvollkommenen Welt, daher die Kunst als Darstellung dieses
Vollkommenen. Rein und unrein sind geschieden, im Heiligen ist der einzige Ort, wo
das Reine geschieht.
Religion gibt es nicht ohne eine specifische Gemeinschaft, sei diese für religiöse
Zwecke abgesondert organisiert (z.B. Kirche), sei es[,] dass sie die Gemeinschaft unge-
sondert als ein faktisch alle bindendes Moment durchzieht (z.B. die griechische Polis).
Religion ist immer zugleich sociologische Realität. Religion ist nie nur persönlich, son-
dern hat Wesen und Gestalt durch eine sich in der Welt behauptende Gemeinschaft
des Glaubens mit unverbrüchlichen heiligen Überlieferungen, den Riten und den Re-
geln für das heilige Tun, zumeist unverstanden, sodass gerade im Unbegreiflichen der
religiös ergreifende Sinn liegt.
Religion gibt es nicht ohne Mythus, dessen Inhalt für den Glaubenden absolute
Realität ist. Nicht durch irgendein Wissen aus Gründen, sondern durch Mitteilung
heiliger Überlieferung wird dieses religiöse Seinsbewusstsein angeeignet. Im Unter-

nach Methoden, im Ms. gestr. 11 Der Glaube als bestimmte Gewissheit - sei er christlicher Glaube
oder Philosophie - setzt sich daher gegen »Religion überhaupt« ab und lässt sich ungern unter Re-
ligion als einen umfassenden Allgemeinbegriff subsumieren. 11
 
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