76
Jonas Borsch
im historischen Prozess zugeschrieben. Bemerkenswert ist dabei, dass auch Kaiser
wie Nero oder Julian, die sonst unter Christen außerordentlich schlecht beleumundet
sind, in keineswegs abfälliger, ja sogar positiver Weise dargestellt werden.130 Solche
ungewöhnlichen Charakterisierungen können ganz individuelle Gründe haben;131 sie
können allerdings auch zu einer generellen Tendenz zur Vereinheitlichung in Bezie-
hung gesetzt werden: Durch die stetige Wiederholung eines immergleichen Schemas
in den unterschiedlichsten Varianten werden nicht nur individuelle Bilder jedes ein-
zelnen Kaisers gezeichnet, sondern entsteht auch ein kohärentes Bild des Kaisertums
an sich, hinter dem die individuellen Personen letztlich zurücktreten. Eine zentrale
Funktion der Porträts ist damit die Vermittlung einer von der lange zurückliegenden
Vergangenheit bis in die Gegenwart reichenden Stabilität und Kontinuität - mit dem
positiven Höhepunkt der Regierungszeit Justinians.
Hat sich Malalas also vollständig von einer Darstellung entfernt, die wie bei Su-
eton oder Prokop den jeweils Dargestellten als Individuum in den Blick nimmt (un-
abhängig davon, ob sich dort tatsächlich der Einsatz physiognomischer Handbücher
belegen lässt)? Interessiert er sich, wie Carrié meint, für die Physis v.a. aus einer gewis-
sermaßen lexikographischen Perspektive, in der das Sammeln von Materialien zum
Selbstzweck wird?132 Haben die Personenbeschreibungen bei ihm damit am Ende also
nur ornamentalen Charakter? Diese Vorstellung scheint mir zu kurz zu greifen. So
mag die additive Form der Darstellung zwar gut zur Spätantiken Lexikographie pas-
sen, doch handelt es sich bei dieser Art der Gestaltung - wie die hiesige Untersuchung
gezeigt hat - um eine Anleihe an weitaus ältere Konventionen, die sich mindestens
bis auf den , Troja-Roman, vielleicht auch darüber hinaus zurückverfolgen lassen. Die
knappe und trockene Ausführung dient dabei dem Zweck, den Eindruck der Authen-
tizität und Greifbarkeit zu steigern, indem eine Aura des Realismus versprüht wird.
Mythische, christliche und schließlich auch kaiserliche „Heroen“ werden nahbar und
erhalten gleichzeitig durch die Verwendung von wertenden Beschreibungselementen
einen Charakter. Die angeführten körperlichen Merkmale entsprechen dabei zwar
bei weitem nicht in allen, aber doch in einigen Fällen recht deutlich früheren oder
zeitgenössischen literarischen und bildlichen Darstellungen. Eine direkte Quellen-
verwendung lässt sich in diesem Kontext nur selten nahelegen. Vielmehr hat man
wohl davon auszugehen, dass Malalas hier die memoria jener Bilder (im übertragenen
wie im wörtlichen Sinne) transportiert, die nicht nur für einzelne Personen konkret
überliefert waren, sondern die auch einer verbreiteten Vorstellung vom Aussehen die-
ses Pcrsoncniyyw entsprachen: Ein Heros glänzt auch noch zu Malalas’ Zeiten durch
Körperkraft und Schönheit, ein Apostel hingegen kann auf solcherlei Eigenschaften
verzichten und besticht alleine durch Heiligkeit; der Endzeitkaiser Anastasios verfügt
über apokalyptisch assoziierte Attribute, während am theiôtatos Justinian positive Kör-
130 Nach Carrié (2006), S. 204 haben die Kaiserporträts des Malalas im Vergleich zu ihren Vorläufern all-
gemein einen „regard nettement plus flatteur“.
131 Vgl. etwa zu Nero Meier (2010).
132 Carrié (2006), S. 205: „ChezMalalas,le portrait [...] se réduit à un „kit“ de matériaux sémantiques bruts
prêts pour un emploi futur de type indéterminé.“
Jonas Borsch
im historischen Prozess zugeschrieben. Bemerkenswert ist dabei, dass auch Kaiser
wie Nero oder Julian, die sonst unter Christen außerordentlich schlecht beleumundet
sind, in keineswegs abfälliger, ja sogar positiver Weise dargestellt werden.130 Solche
ungewöhnlichen Charakterisierungen können ganz individuelle Gründe haben;131 sie
können allerdings auch zu einer generellen Tendenz zur Vereinheitlichung in Bezie-
hung gesetzt werden: Durch die stetige Wiederholung eines immergleichen Schemas
in den unterschiedlichsten Varianten werden nicht nur individuelle Bilder jedes ein-
zelnen Kaisers gezeichnet, sondern entsteht auch ein kohärentes Bild des Kaisertums
an sich, hinter dem die individuellen Personen letztlich zurücktreten. Eine zentrale
Funktion der Porträts ist damit die Vermittlung einer von der lange zurückliegenden
Vergangenheit bis in die Gegenwart reichenden Stabilität und Kontinuität - mit dem
positiven Höhepunkt der Regierungszeit Justinians.
Hat sich Malalas also vollständig von einer Darstellung entfernt, die wie bei Su-
eton oder Prokop den jeweils Dargestellten als Individuum in den Blick nimmt (un-
abhängig davon, ob sich dort tatsächlich der Einsatz physiognomischer Handbücher
belegen lässt)? Interessiert er sich, wie Carrié meint, für die Physis v.a. aus einer gewis-
sermaßen lexikographischen Perspektive, in der das Sammeln von Materialien zum
Selbstzweck wird?132 Haben die Personenbeschreibungen bei ihm damit am Ende also
nur ornamentalen Charakter? Diese Vorstellung scheint mir zu kurz zu greifen. So
mag die additive Form der Darstellung zwar gut zur Spätantiken Lexikographie pas-
sen, doch handelt es sich bei dieser Art der Gestaltung - wie die hiesige Untersuchung
gezeigt hat - um eine Anleihe an weitaus ältere Konventionen, die sich mindestens
bis auf den , Troja-Roman, vielleicht auch darüber hinaus zurückverfolgen lassen. Die
knappe und trockene Ausführung dient dabei dem Zweck, den Eindruck der Authen-
tizität und Greifbarkeit zu steigern, indem eine Aura des Realismus versprüht wird.
Mythische, christliche und schließlich auch kaiserliche „Heroen“ werden nahbar und
erhalten gleichzeitig durch die Verwendung von wertenden Beschreibungselementen
einen Charakter. Die angeführten körperlichen Merkmale entsprechen dabei zwar
bei weitem nicht in allen, aber doch in einigen Fällen recht deutlich früheren oder
zeitgenössischen literarischen und bildlichen Darstellungen. Eine direkte Quellen-
verwendung lässt sich in diesem Kontext nur selten nahelegen. Vielmehr hat man
wohl davon auszugehen, dass Malalas hier die memoria jener Bilder (im übertragenen
wie im wörtlichen Sinne) transportiert, die nicht nur für einzelne Personen konkret
überliefert waren, sondern die auch einer verbreiteten Vorstellung vom Aussehen die-
ses Pcrsoncniyyw entsprachen: Ein Heros glänzt auch noch zu Malalas’ Zeiten durch
Körperkraft und Schönheit, ein Apostel hingegen kann auf solcherlei Eigenschaften
verzichten und besticht alleine durch Heiligkeit; der Endzeitkaiser Anastasios verfügt
über apokalyptisch assoziierte Attribute, während am theiôtatos Justinian positive Kör-
130 Nach Carrié (2006), S. 204 haben die Kaiserporträts des Malalas im Vergleich zu ihren Vorläufern all-
gemein einen „regard nettement plus flatteur“.
131 Vgl. etwa zu Nero Meier (2010).
132 Carrié (2006), S. 205: „ChezMalalas,le portrait [...] se réduit à un „kit“ de matériaux sémantiques bruts
prêts pour un emploi futur de type indéterminé.“