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Laura Mecella
Mit einer von ihm selbst als gewagt bezeichneten Hypothese schlug Longden vor,
das Ereignis auf den Aufstand der mesopotamischen Städte zurückzuführen, der die
letzte Phase des trajanischen Feldzuges prägte und an dem auch Antiochia beteiligt
gewesen sein könnte: „At such a time, with the legions widely dispersed and much
of the remaining Syrian garrison away in Egypt, an invasion of ,Euphratesia‘ is by
no means out of the question, and even the defection of Antioch is conceivable.“37
Die Erzählung des Malalas scheint jedoch nicht die Erinnerung an einen einfachen
Treuebruch der Orontes-Stadt zu bewahren, sondern an eine echte militärische Be-
satzungsmacht, die in keiner Weise auf das trajanische Zeitalter zurückgeführt werden
kann. Schließlich war das Epizentrum des Aufstandes im Jahr n6 das soeben eroberte
Mesopotamien und fiel dieser mit dem jüdischen Aufstand zusammen, der im Vorjahr
in der Kyrenaika, in Ägypten und in Zypern ausgebrochen war: Keine Quelle berich-
tet von einem parthischen Vorrücken in römisches Gebiet und auch nicht von einer
Beteiligung der syrischen Städte am Aufstand. In dieser schwierigen Lage waren es
nur die seit Kurzem unterworfenen Völker längs der Ostgrenze, die zu den Waffen
griffen.38
Ebenso ist eine Verbindung mit den parthischen Raubzügen in Syrien im Jahr 162
auszuschließen, die bald durch eine energische Intervention von Lucius Verus unter-
bunden wurden: Dass in jener heiklen Lage der Feind einzig in den Grenzgebieten
anwesend war, zeigen einerseits der Einzug des römischen Kaisers in Antiochia bereits
im Herbst des Jahres 162 (die Stadt war also nicht in die Hände des Feindes gefal-
len und Lucius Verus konnte dort sein Hauptquartier einrichten), andererseits die
Auseinandersetzung in Sura, die den Beginn des römischen Gegenangriffes im Jahr
163 bedeutete: Die Parther scheinen also nur die Grenzgebiete entlang des Euphrats,
nicht aber das Landesinnere der Provinzen kontrolliert zu haben.39
Antiochias, Krieg gegen die Parther) ursprünglich in einem nicht chronographischen Werk (vielleicht
in einer Patria Antiocheias) nebeneinander gestanden hatten. Malalas oder seine unmittelbare Vorlage
muss also beide unverbundenen Ereignisse in einen zeitlichen und kausalen Zusammenhang gebracht
haben.“ Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass in ein- und derselben Geschichte eine „Einnahme Antio-
chias“ und ein „Krieg gegen die Parther“ behandelt worden sein könnten, die voneinander vollkommen
unabhängig sind (von wem wäre in diesem Fall Antiochia erobert worden?). Es ist ganz offensichtlich,
dass Malalas (oder seine Vorlage) sich durch die Nachricht von einer Eroberung Antiochias durch die
Parther hat inspirieren lassen.
37 Longden (1931), S. 32-34 (Zitat auf S. 33).
38 Auch Guey (1937), S. 122-123, der mit Longden dazu tendiert, den Kriegsschauplatz auszuweiten,
spricht von „une révolte générale des pays conquis“, und behauptet, dass „une invasion parthe, inadmis-
sible en 113, a nécessairement eu lieu en 116-117, limitée à vrai dire aux seules provinces conquises par
Trajan“. Von der Frage abgesehen, ob diese Rekonstruktion glaubwürdig ist oder nicht - die jüngere
Forschung spricht, meiner Meinung nach zu Recht, den Parthern die Beteiligung an diesen Ereignis-
sen ab (siehe zuletzt Brizzi (2016), S. 752-755) -, bleibt jedenfalls die Tatsache bestehen, dass Syrien, ein
vor viel längerer Zeit provinzialisiertes Gebiet, in keiner Weise von dem Aufruhr betroffen war.
39 Siehe Cassius Dio, Historiae Romanae LXXI 2,1-2; Historia Augusta, Vita Marei 8,6 und Vita Veri 6,9;
Orosius, Historiae adversus paganus VII 15,2; mit Hinweisen auf den Partherkrieg von Verus ist ein
Großteil der kleinen lukianischen Abhandlung Quomodo historia conscribenda sit vor allem in den mitt-
leren Kapiteln (15-32) verflochten. Zu dieser Episode und zur Fortsetzung des Feldzuges von Verus
Laura Mecella
Mit einer von ihm selbst als gewagt bezeichneten Hypothese schlug Longden vor,
das Ereignis auf den Aufstand der mesopotamischen Städte zurückzuführen, der die
letzte Phase des trajanischen Feldzuges prägte und an dem auch Antiochia beteiligt
gewesen sein könnte: „At such a time, with the legions widely dispersed and much
of the remaining Syrian garrison away in Egypt, an invasion of ,Euphratesia‘ is by
no means out of the question, and even the defection of Antioch is conceivable.“37
Die Erzählung des Malalas scheint jedoch nicht die Erinnerung an einen einfachen
Treuebruch der Orontes-Stadt zu bewahren, sondern an eine echte militärische Be-
satzungsmacht, die in keiner Weise auf das trajanische Zeitalter zurückgeführt werden
kann. Schließlich war das Epizentrum des Aufstandes im Jahr n6 das soeben eroberte
Mesopotamien und fiel dieser mit dem jüdischen Aufstand zusammen, der im Vorjahr
in der Kyrenaika, in Ägypten und in Zypern ausgebrochen war: Keine Quelle berich-
tet von einem parthischen Vorrücken in römisches Gebiet und auch nicht von einer
Beteiligung der syrischen Städte am Aufstand. In dieser schwierigen Lage waren es
nur die seit Kurzem unterworfenen Völker längs der Ostgrenze, die zu den Waffen
griffen.38
Ebenso ist eine Verbindung mit den parthischen Raubzügen in Syrien im Jahr 162
auszuschließen, die bald durch eine energische Intervention von Lucius Verus unter-
bunden wurden: Dass in jener heiklen Lage der Feind einzig in den Grenzgebieten
anwesend war, zeigen einerseits der Einzug des römischen Kaisers in Antiochia bereits
im Herbst des Jahres 162 (die Stadt war also nicht in die Hände des Feindes gefal-
len und Lucius Verus konnte dort sein Hauptquartier einrichten), andererseits die
Auseinandersetzung in Sura, die den Beginn des römischen Gegenangriffes im Jahr
163 bedeutete: Die Parther scheinen also nur die Grenzgebiete entlang des Euphrats,
nicht aber das Landesinnere der Provinzen kontrolliert zu haben.39
Antiochias, Krieg gegen die Parther) ursprünglich in einem nicht chronographischen Werk (vielleicht
in einer Patria Antiocheias) nebeneinander gestanden hatten. Malalas oder seine unmittelbare Vorlage
muss also beide unverbundenen Ereignisse in einen zeitlichen und kausalen Zusammenhang gebracht
haben.“ Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass in ein- und derselben Geschichte eine „Einnahme Antio-
chias“ und ein „Krieg gegen die Parther“ behandelt worden sein könnten, die voneinander vollkommen
unabhängig sind (von wem wäre in diesem Fall Antiochia erobert worden?). Es ist ganz offensichtlich,
dass Malalas (oder seine Vorlage) sich durch die Nachricht von einer Eroberung Antiochias durch die
Parther hat inspirieren lassen.
37 Longden (1931), S. 32-34 (Zitat auf S. 33).
38 Auch Guey (1937), S. 122-123, der mit Longden dazu tendiert, den Kriegsschauplatz auszuweiten,
spricht von „une révolte générale des pays conquis“, und behauptet, dass „une invasion parthe, inadmis-
sible en 113, a nécessairement eu lieu en 116-117, limitée à vrai dire aux seules provinces conquises par
Trajan“. Von der Frage abgesehen, ob diese Rekonstruktion glaubwürdig ist oder nicht - die jüngere
Forschung spricht, meiner Meinung nach zu Recht, den Parthern die Beteiligung an diesen Ereignis-
sen ab (siehe zuletzt Brizzi (2016), S. 752-755) -, bleibt jedenfalls die Tatsache bestehen, dass Syrien, ein
vor viel längerer Zeit provinzialisiertes Gebiet, in keiner Weise von dem Aufruhr betroffen war.
39 Siehe Cassius Dio, Historiae Romanae LXXI 2,1-2; Historia Augusta, Vita Marei 8,6 und Vita Veri 6,9;
Orosius, Historiae adversus paganus VII 15,2; mit Hinweisen auf den Partherkrieg von Verus ist ein
Großteil der kleinen lukianischen Abhandlung Quomodo historia conscribenda sit vor allem in den mitt-
leren Kapiteln (15-32) verflochten. Zu dieser Episode und zur Fortsetzung des Feldzuges von Verus