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28 Versuch einer Selbstkritik

seiner Schrift Der Antichrist, um seine entschieden antichristliche Position zu
markieren und auch, um das Pathos eines endzeitlichen Entscheidungskamp-
fes zu erzeugen.
19, 29-20, 2 „Was allem Tragischen den eigenthümlichen Schwung [...] darin
besteht der tragische Geist -, er leitet demnach zur Resignation hin“.] Es
handelt sich um ein zwar nicht ganz originalgetreu, aber ohne Sinnverände-
rung wiedergegebenes Schopenhauer-Zitat, das bei diesem im Kontext längerer
Ausführungen zur Tragödie steht, in: Die Welt als Wille und Vorstellung II,
3. Buch, Kapitel 37: Zur Aesthetik der Dichtkunst (Frauenstädt, Bd. 3, S. 495-
501). Schopenhauers Wortlaut: „Was allem Tragischen, in welcher Gestalt es
auch auftrete, den eigenthümlichen Schwung zur Erhebung giebt, ist das Auf-
gehn der Erkenntniß, daß die Welt, das Leben, kein wahres Genügen gewähren
könne, mithin unserer Anhänglichkeit nicht werth sei: darin besteht der tragi-
sche Geist: er leitet demnach zur Resignation hin“ (S. 495).
20, 3 f. Oh wie ferne war mir damals gerade dieser ganze Resignationismus!]
Dieser Ausruf bezieht sich nicht nur auf das voranstehende Schopenhauer-
Zitat. „Resignation“ ist, immer wieder im Zusammenhang mit den Begriffen
„Quietiv“ und (innere) „Ruhe“, ein wichtiges Thema in der Welt als Wille und
Vorstellung, vor allem im Ersten Band, Viertes Buch: Bejahung und Verneinung
des Willens, § 68 (Frauenstädt, Bd. 2, S. 461-471).
20,11 f. auf Grund der deutschen letzten Musik] Der Musik Wagners, dem GT
gewidmet war, von dem sich N. nun aber, wie besonders die Schriften Der Fall
Wagner und Nietzsche contra Wagner zeigen, energisch distanzierte.
20, Hf. Dass ich, auf Grund der deutschen letzten Musik, vom „deutschen
Wesen“ zu fabeln begann] N. bezieht sich hier auf GT 24 (153, 28) wo vom
„deutschen Wesen“ die Rede ist, im engen Zusammenhang mit dem „deut-
schen Geist“ (153, 34 und 154, 7), zu dem er später in der Götzen-Dämmerung
bemerkt (KSA 6, 62, 20 f.): .„Deutscher Geist4: seit achtzehn Jahren [d. h. seit
der Reichsgründung] eine contradictio in adjecto“. Unter dem Eindruck des
deutsch-französischen Kriegs von 1870/71 hatte Wagner in seiner Schrift Beet-
hoven, auf die sich N. schon im Vorwort zur Tragödienschrift (Vorwort an
Richard Wagner, 23, 19) bezieht, das „deutsche Wesen“ gegen alle „Nachbarn
romanischer Herkunft“ (GSD IX, 123) hervorzuheben versucht. Ein Topos ist
das „deutsche Wesen“ seit Emanuel Geibels Gedicht Deutschlands Beruf (1861).
Dessen letzte Verse lauten: „Macht und Freiheit, Recht und Sitte, / Klarer Geist
und scharfer Hieb, / Zügeln dann aus starker Mitte / Jeder Selbstsucht wilden
Trieb, / Und es mag am deutschen Wesen / Einmal noch die Welt genesen“. N.
hatte kurz nach Erscheinen der Geburt der Tragödie im Jahr 1872 formuliert
 
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