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98 Die Geburt der Tragödie

teren Ernst, dem andern aus Scherz, Übermut und Raserei gemischte Wandelbarkeit zu
und rufen ihn als .Euoirufer, Weiberbegeisterer, unter tobenden Ehrungen herstürmenden
Dionysos“, womit sie das Eigentümliche der beiden Erscheinungsformen nicht übel treffen
(Plutarch, Über Gott und Vorsehung, Dämonen und Weissagung, Zürich und Stuttgart 1952,
S. 59. Übersetzung von Konrat Ziegler).
Der Gegensatz, den Plutarch hier charakterisiert, wirkte in zahlreichen Darstel-
lungen des 19. Jahrhunderts speziell zur „Musik“ nach. Sie betonten vor allem
den gegensätzlichen Charakter von „Kithara-Musik“ und „Aulos“-Musik. Da
sich N. besonders für „Musik“ interessierte - er komponierte sogar selbst -
und da er speziell die Tragödienschrift im Hinblick auf Wagners musikalisches
Schaffen entwarf, kaufte und lieh er in der Zeit, in der er an GT arbeitete, eine
ganze Anzahl von musikhistorischen Werken, darunter eine Geschichte der
alten und mittelalterlichen Musik von Rudolf Westphal (Breslau 1864). In die-
sem Buch, das N. selbst in seiner Bibliothek hatte, bezieht Westphal den
Gegensatz von , apollinischer4 und ,dionysischer4 Musik bei den Griechen auf
die Musikinstrumente Kithara und Aulos (Flöte): „Die Kithara-Musik steht zu
der Aulos-Musik in einem strengen Gegensätze des Ethos: Ruhe, Maasshaltig-
keit, heiterer Ernst charakterisirt die Kitharodik; - die Aulodie versetzt das
Gemüth in Unruhe und Bewegung, wirkt nicht besänftigend, sondern reisst
gewaltsam mit sich fort in den Orgiasmus der übersprudelnden Lust wie des
maasslosen Schmerzes“ (S. 98).
25, 6-9 in ähnlicher Weise, wie die Generation von der Zweiheit der Geschlech-
ter, bei fortwährendem Kampfe und nur periodisch eintretender Versöhnung,
abhängt.] Hier zeichnet sich das für GT charakteristische, an Schopenhauer
erinnernde Verfahren assoziativer und illustrierender Analogiebildung („in
ähnlicher Weise, wie“) statt eines argumentativen Duktus ab. Vgl. NK 26, 3-7.
Den Begriff der „Generation“ verwendet N. in der alten Bedeutung: Fortpflan-
zung, Zeugung (lat. generatio). In der romantischen Naturphilosophie ist die
hier am Beispiel der Geschlechterkonstellation erörterte „Duplizität“ und Pola-
rität ein universelles Vorstellungsmuster. So schreibt Schelling: „Wo Erschei-
nungen sind, sind schon entgegengesetzte Kräfte. Die Naturlehre also setzt als
unmittelbares Prinzip eine allgemeine Duplizität [...] voraus“. „Daß in der gan-
zen Natur entzweite, reell-entgegengesetzte Principien wirksam sind, ist apriori
gewiß; diese entgegengesetzten Principien in einem Körper vereinigt, ertheilen
ihm die Polarität, durch die Erscheinungen der Polarität lernen wir also nur
gleichsam die engere und bestimmtere Sphäre kennen, innerhalb welcher der
allgemeine Dualismus wirkt“. (F. J. W. Schelling: Sämmtliche Werke, Stuttgart
1856 ff., Abt. 1, Bd. 2, S. 357-570, hier S. 390 und 476. Vgl. den ganzen Abschnitt
Bestimmung des Begriffs der Polarität, S. 476-89 und S. 490 ff. über den ,allge-
meinen Dualismus4). Joseph Görres traktiert in seinen Prinzipien einer neuen
 
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