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Stellenkommentar GT 5, KSA 1, S. 42-43 157

lichkeit müssen wohl schon gewollt sein und sich verwirklichen, aber nur
durch die handelnden Individuen selbst und deren Charakter [...] So finden
wir im Epos zwar die substantielle Gemeinsamkeit des objektiven Lebens und
Handelns, ebenso aber die Freiheit in diesem Handeln und Leben, das ganz
aus dem subjektiven Willen der Individuen hervorzugehen scheint“. Ferner
S. 359: „Zur Objektivität eines epischen Charakters gehört zunächst besonders
für die Hauptgestalten, daß sie in sich selbst eine Totalität von Zügen, ganze
Menschen sind und deshalb an ihnen alle Seiten des Gemüts überhaupt und
näher der nationalen Gesinnung und Art des Handelns entwickelt zeigen“. Die
lyrische Dichtung bestimmt Hegel dagegen als „die Dichtkunst des Subjekti-
ven“ (Hegel, Bd. 12: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 326);
und er hält entsprechend fest, daß „der lyrische Dichter überhaupt seinem
Herzen Luft macht und das ausspricht, wovon er selbst als Subjekt affiziert
ist“ (Bd. 13: Vorlesungen über die Ästhetik I, S. 266). „Am vollständigsten lyrisch
ist in dieser Rücksicht die in einem konkreten Zustande konzentrierte Stim-
mung des Gemüts, indem das empfindende Herz das Innerste und Eigenste
der Subjektivität ist“ (Bd. 15: Vorlesungen über die Ästhetik III, S. 444).
42, 32-43, 6 Uns ist mit dieser Deutung wenig gedient, weil wir den subjectiven
Künstler nur als schlechten Künstler kennen und in jeder Art und Höhe der Kunst
vor allem und zuerst Besiegung des Subjectiven, Erlösung vom „Ich“ und Still-
schweigen jedes individuellen Willens und Gelüstens fordern, ja ohne Objectivi-
tät, ohne reines interesseloses Anschauen nie an die geringste wahrhaft künstleri-
sche Erzeugung glauben können.] Diesen Einwand formuliert N. ganz aus der
Perspektive von Schopenhauers Ästhetik. Schopenhauer zielt auf Kontempla-
tion, in der alles Subjektive zugunsten einer allererst zur reinen Erkenntnis der
„platonischen Ideen“ fähigen „Objektivität“ aufgehoben ist: „Nur durch die
oben beschriebene, im Objekt ganz aufgehende, reine Kontemplation werden
Ideen aufgefaßt, und das Wesen des Genius besteht eben in der überwiegen-
den Fähigkeit zu solcher Kontemplation: da nun diese ein gänzliches Vergessen
der eigenen Person und ihrer Beziehungen verlangt; so ist Genialität nichts
Anderes, als die vollkommenste Objektivität, d. h. objektive Richtung des
Geistes, entgegengesetzt der subjektiven, auf die eigene Person, d.i. den Willen,
gehenden. Demnach ist Genialität die Fähigkeit, sich rein anschauend zu ver-
halten, sich in die Anschauung zu verlieren und die Erkenntniß, welche
ursprünglich nur zum Dienste des Willens daist [sic], diesem Dienste zu ent-
ziehn, d. h. sein Interesse, sein Wollen, seine Zwecke, ganz aus den Augen zu
lassen, sonach seiner Persönlichkeit sich auf eine Zeit völlig zu entäußern, um
als rein erkennendes Subjekt, klares Weltauge, übrig zu bleiben“ (Die
Welt als Wille und Vorstellung I, 3. Buch: Welt als Vorstellung. Die Platonische
Idee: das Objekt der Kunst, § 36, Frauenstädt, Bd. 2, S. 218 f.). Schopenhauer
 
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