Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
178 Die Geburt der Tragödie

Schon im Brief an Goethe vom 29. Dezember 1797 hatte sich Schiller für
die Oper interessiert, und sogar in einem ,dionysischen4 Zusammenhang, weil
die „Macht der Musik“ über alles Naturalistische emporhebe zum Idealen: „Ich
hatte immer ein gewißes Vertrauen zur Oper, daß aus ihr wie aus den Chören
des alten Bacchusfestes das Trauerspiel in einer edlern Gestalt sich loswickeln
sollte. In der Oper erläßt man wirklich jene servile Naturnachahmung, und
obgleich nur unter dem Nahmen von Indulgenz könnte sich auf diesem Wege
das Ideale auf das Theater stehlen. Die Oper stimmt durch die Macht der Musik
[...] das Gemüth zu einer schönem Empfängniß, hier ist wirklich auch im
Pathos selbst ein freieres Spiel weil die Musik es begleitet, und das Wunder-
bare, welches hier einmal geduldet wird, müßte nothwendig gegen den Stoff
gleichgültiger machen“ (Friedrich Schiller, Werke und Briefe in zwölf Bänden,
hg. von Otto Dann u.a., Bd. 12: Friedrich Schiller, Briefe II, 1795-1805, hg. von
Norbert Oellers, Frankfurt 2002, Nr. 609, S. 358). Auf diesen Brief Schillers
bezieht sich N. in mehreren Notizen, vgl. NL 1871, KSA 7, 9 [83], 304; wie die
entsprechenden Überlegungen Goethes war er wichtig für Wagners Konzeption
der Oper als Gesamtkunstwerk.
55, 4-5 Schlagwort „Pseudoidealismus“] N. bezeichnet hier, wie auch schon
vorher mit dem Begriff „Naturalismus“ (55, 1 f.), eine literarische und theoreti-
sche Grundtendenz seiner Zeit, die sich als „Realismus“ verstand und sich
gegen die Wirklichkeitsverfehlung durch Romantik und Idealismus wandte.
Letzterer wurde als „Pseudoidealismus“ abgewertet.
55, 9 bei gewissen beliebten Romanen der Gegenwart] N. meint die realisti-
schen Romane seiner Zeit, besonders diejenigen Gustav Freytags. Vgl. NL 1870/
1871, KSA 7, 7[114], 164, 4-12: „Die neuere deutsche Romanschriftstellerei als
eine Frucht der Hegelei: das Erste ist der Gedanke, der nun künstlich exemplifi-
cirt wird. So der Stil bei Freytag: ein allgemeiner blasser Begriff, durch ein
paar realistische Wörtchen aufgestutzt. Der Goethesche homunculus. Dies
Gesindel, im Lobe der Romandichtung als der einzig zeitgemäßen, schafft eine
Aesthetik aus seinen Gebrechen. Gutzkow als mißrathener Philosoph ist der
transformed disformed, im Ganzen eine Karrikatur des Schillerschen Ver-
hältnisses von Philosophie und Poesie“. NL 1870/1871/1872, KSA 7, 8[113], 266,
11-15: „Julian Schmidt, Freytag, Auerbach. Opposition gegen die imperativische
Welt des Schönen und Erhabenen: Protest der Photographie gegen das
Gemälde. Der ,Roman4. Dabei in ihnen Nachwirkungen der romantischen Ver-
ehrung des Deutschen: aber falsch und unidealistisch“. Bereits Wagner hatte
den zeitgenössischen Roman in antimoderner und antirealistischer Absicht als
Ausdruck der durch Politik, Wissenschaft und Historie geprägten „Lebensan-
schauung der modernen Welt“ abgewertet und dagegen sein ,Gesamtkunst-
werk4 gestellt.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften