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Stellenkommentar GT 10, KSA 1, S. 72-73 215

derjenige Teilnehmer der Eleusinischen Demeter-Mysterien (72, 32), der sich
auf der höchsten Stufe der Einweihung befand und das Mysteriengeheimnis
„schauen“ durfte. Die Verbindung des Zagreus-Mythologems mit den eleusini-
schen Mysterien findet sich auch in zeitgenössischen Darstellungen, so in dem
von N. intensiv herangezogenen Werk von Julius Leopold Klein: Geschichte des
Drama’s, Bd. 1, S. 47. Sicher überliefert ist, daß die Eleusinischen Mysterien,
in deren Zentrum Demeter stand, mit dem athenischen Dionysoskult (nicht mit
dem Mythos von Dionysos-Zagreus) zusammenhingen und daß es weitverbrei-
tete Dionysos-Mysterien gab, die schon früh mit der Orphik in Verbindung stan-
den. Zum Zusammenhang der Dionysos-Mysterien mit dem Zagreus-Mythos vgl.
u. a. Clemens von Alexandria, Protreptikos II 17, 2-18, 1 (I 14, 7 Staehlin) =
Orphicorum Fragmenta, coli. Otto Kern, Nr. 34, S. 110. Die von N. genannte
„Wiedergeburt“ eines dritten Dionysos durch Demeter hat einen Anhaltspunkt
in einem orphischen Fragment (Orphicorum Fragmenta, collegit Otto Kern,
31972, Nr. 36, S. 111) aus der Schrift Philodems De pietate (44, p. 16,1 Gomperz),
die von einer dreifachen Geburt des Dionysos („de triplici Bacchi ortu“) han-
delt. Darin heißt es, die erste dieser Geburten sei von der Mutter (Semele), die
zweite aus dem Schenkel (des Zeus), die dritte, diejenige nach der Zerstücke-
lung des Dionysos durch die Titanen, durch Rhea (die Erd-Göttin, die mit
Demeter gleichgesetzt wurde) zustandegekommen. Sie habe Dionysos durch
Zusammensetzung seiner Glieder „wiedergeboren“: (nptüTr[v tov^tcüv ti\v ek
p(r(TpÖ0, ETEpOtV ÖE T(f|V Ek} hRpOV, (Tp^TpV Ö£ Tl\(v OT£ öl^aonaoOEiq UTTO TCÜV
Tltöivcüv 'P£(aq Ta} psAp avv0£(iaric;} äv£ßitü[i].
Die konjektural ergänzten Splitter des Fragments stehen in spitzen Klam-
mern.
72, 34-73, 7 In den angeführten Anschauungen haben wir bereits alle
Bestandtheile einer tiefsinnigen und pessimistischen Weltbetrachtung und
zugleich damit die Mysterienlehre der Tragödie zusammen: die Grund-
erkenntniss von der Einheit alles Vorhandenen, die Betrachtung der Individuation
als des Urgrundes des Uebels, die Kunst als die freudige Hoffnung, dass der
Bann der Individuation zu zerbrechen sei, als die Ahnung einer wiederhergestell-
ten Einheit.] Für eine derartige „Mysterienlehre der Tragödie“ und eine entspre-
chende Verbindung der historisch greifbaren Tragödien mit Mysterien-Zeugnis-
sen gibt es keine Anhaltspunkte in der antiken Überlieferung, vielmehr handelt
es sich um eine „Lehre“, die N. selbst spekulativ aus seiner Tragödienkonzep-
tion zieht.
Der scheinbare Widerspruch zwischen den vorausgehenden Sätzen über
den „Jubelgesang der Epopten“, über die „Hoffnung“ und Demeters Freude
darüber, daß sie Dionysos noch einmal gebären könne, und der hier mit diesen
„Bestandtheilen“ verbundenen „pessimistischen Weltbetrachtung“ löst sich im
 
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