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264 Die Geburt der Tragödie

(2, 6), der noch eine wichtige - von N. nicht zitierte - Aussage über diese
Lehre des Anaxagoras vorausschickt: „Als Erster ordnete er [Anaxagoras] der
Materie den Geist über“ (nptüToq tt) vAp voüv eheotpoev) - damit ist gemeint,
daß Anaxagoras nach den ionischen Naturphilosophen, die physikalische
(Ur-)Stoffe zu jeweils einheitstiftenden Prinzipien machten, diesen ein geistiges
Prinzip überordnete. Der von N. als Zitat ausgewiesene Passus lautet: nötvTOt
XpnpaTot pv öpoü' EtTot voüq eA0cüv avTÖt öisKÖoppos. Die negative Wertung der
Rolle, die Anaxagoras dem „Nous“ zuweist, und eine grundsätzliche Kritik
daran enthält in größerer Deutlichkeit die nachgelassene Schrift Die Philoso-
phie im tragischen Zeitalter der Griechen: Darin heißt es, mit deutlichem Echo
auf Schopenhauers Vorliebe für physiologische und empirische Erklärungs-
muster, Anaxagoras habe sich in einer Verlegenheit befunden, aus der er
„Hülfe und Rettung in jenem sich selbst bewegenden und sonst unabhängigen
Nous zu finden“ hoffte: „dessen Wesen gerade dunkel und verschleiert genug
ist, um darüber täuschen zu können, daß auch seine Annahme im Grunde
jene verbotene causa sui involvirt. Für die empirische Betrachtung ist es sogar
ausgemacht, daß das Vorstellen nicht eine causa sui, sondern die Wirkung des
Gehirnes ist, ja ihr muß es als eine wunderliche Ausschweifung gelten, den
,Geist4, das Gehirnerzeugniß, von seiner causa zu trennen und nach dieser
Loslösung noch als existirend zu wähnen. Dies that Anaxagoras; er vergaß das
Gehirn, seine erstaunliche Künstlichkeit, die Zartheit und Verschlungenheit
seiner Windungen und Gänge und dekretirte den ,Geist an sich4“ (KSA 1, 860,
3-14).
Daß N. voüq in GT nicht mit „Geist“, sondern mit „Verstand“ übersetzte,
erklärt sich aus seinem Bestreben, Anaxagoras als aufklärerischen Rationalis-
ten dem Euripides und dem Sokrates zuzuordnen. Schon zu seiner Zeit aber
wurde voüq mit „Geist“ übersetzt, so etwa in dem Kapitel über Anaxagoras in
dem von N. benutzten ersten Band von Eduard Zellers monumentalem Werk
Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung (3. Aufl. 1869).
Zeller bemerkt dort S. 803, Anm. 2, zu der Übersetzung „Geist“: „So übersetze
ich mit anderen den anaxagorischen Noüq, wiewohl beide Ausdrücke in ihrer
Bedeutung nicht vollständig zusammenfallen, da unsere Sprache kein genauer
entsprechendes Wort bietet“. Daß die Übersetzung „Verstand“ nicht zutrifft,
muß N. klar gewesen sein, und in dem angeführten Zitat aus der Schrift Die
Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen übersetzt er voüq ja selbst mit
„Geist“.
87, 5-7 Und wenn Anaxagoras mit seinem „Nous“ unter den Philosophen wie
der erste Nüchterne unter lauter Trunkenen erschien] N., der in seiner Abhand-
lung Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen dem Anaxagoras eine
längere Partie widmet, paraphrasiert hier Aristoteles, Metaphysik 1, 984b 15 ff.:
 
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