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266 Die Geburt der Tragödie

Buch für freie Geister“) beginnenden und fortan zentralen Konzeption des
„freien Geistes“ vor.
87, 13-15 Das, was Sophokles von Aeschylus gesagt hat, er thue das Rechte,
obschon unbewusst] Zur Thematisierung des Unbewußten hier und im Folgen-
den vgl. NK 86, 32-87, 5. N. greift eine von Athenaios überlieferte Anekdote aus
der Aischylos-Biographie des peripatetischen Literaturhistorikers Chamaileon
auf: „Als Betrunkener (peOutüv) schrieb er [Aischylos] seine Tragödien. Deshalb
tadelte ihn Sophokles: ,oh Aischylos, du machst zwar als Dichter das Richtige
(ra öeovtoi notEiq), aber ohne es zu wissen (ovk clötoq)“ (Athenaios 10, 428 f.).
N. konnte diesen Ausspruch des Sophokles auch in den von ihm intensiv
benutzten Vorlesungen A. W. Schlegels finden. Darin heißt es über Aischylos
im Sinne der zeitgenössischen Genie-Ästhetik: „kunstvollere Tragödien nach
ihm zu dichten, war sehr möglich, in der fast übermenschlichen Großheit
möchte er wohl immer unübertroffen bleiben, da ihn hierin sein glücklicher
jüngerer Nebenbuhler, Sophokles, selbst nicht erreichte. Dieser tat über ihn
den Ausspruch und kündigte sich dadurch als einen denkenden Künstler an:
,Äschylus tue das Rechte, aber ohne es zu wissen4; einfache Worte, die jedoch
das ganz erschöpfen, was wir unter einem bewußtlos wirkenden Genius verste-
hen“ (Über dramatische Kunst und Literatur II, 87). Auch die von N. herangezo-
gene Geschichte des Drama’s von Julius Leopold Klein berichtet in Bd. 1, S. 197,
von dem bei Athenaios stehenden Ausspruch des Sophokles über Aischylos.
Wie sehr sich N. an der Opposition von Instinkt (im Sinne einer naturhaft-
unbewußten Genialität) und Rationalität orientiert, geht aus einer Partie seiner
Tragödienvorlesung im Sommersemester 1870 hervor: „Der Unterschied am
schärfsten im Satz des S.(ophocles} ausgedrückt: er [Aischylos] thut das Beste,
ohne es zu wissen. Dies enthält das Urtheil, dass er selbst ihm mit Bewusstsein
folgt: während aus demselben Grunde Eurip. sich ihm entgegenstellt [in den
Fröschen des Aristophanes]. Soph. geht auf der aeschyl. Bahn vorwärts: bis zu
Aesch. war es der künstlerische Instinct der Trag, der sie vorwärts brachte.
Jetzt kommt das Denken hinzu. Aber das Denken ist hier im Ganzen noch im
Einklang mit dem Instinct: bei Eurip. wird es destructiv gegen das Instinctive“
(KGW II 3, 37).
87, 17-22 Auch der göttliche Plato redet vom schöpferischen Vermögen des
Dichters, insofern dies nicht die bewusste Einsicht ist, zu allermeist nur ironisch
und stellt es der Begabung des Wahrsagers und Traumdeuters gleich; sei doch
der Dichter nicht eher fähig zu dichten als bis er bewusstlos geworden sei, und
kein Verstand mehr in ihm wohne.] Die Wendung „zu allermeist“ deutet auf
mehrere verschiedene Aussagen Platons hin. Der Vergleich des Dichters mit
dem „Wahrsager und Traumdeuter“ bezieht sich auf einen Passus in der Vertei-
 
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