Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
270 Die Geburt der Tragödie

Mysterien mit den Demeter-Mysterien in Eleusis hervor, die wiederum durch
den spätestens schon um 600 v. Chr. entstandenen homerischen Demeterhym-
nus bezeugt sind. Richtig ist nur, daß die Dionysos-Mysterien später allmählich
„die ganze Welt“, d. h. die ganze Mittelmeerwelt überzogen - bis um 400
n. Chr., als sie schließlich durch das zur römischen Staatsreligion erhobene
Christentum verdrängt und von Staats wegen verboten wurden. Obwohl die
Dionysos-Mysterien ein mit einem Geheimhaltungsgebot belegtes Einweihungs-
ritual enthielten, waren sie im Ganzen kein „Geheimcultus“, sondern öffentlich
zugängliche, von großen Kultvereinen getragene und mit Prozessionen (etwa
von Athen nach Eleusis) verbundene Feiern. Auch lösten sie keineswegs andere
Formen des - öffentlichen - Dionysoskults ab, denn diese lebten bis in die
römische Kaiserzeit weiter.

13. Kapitel
Nachdem das vorangehende Kapitel mit der Kategorie des „Sokratismus“
schon einen geistigen Zusammenhang zwischen Euripides und Sokrates herge-
stellt, sich aber auf Euripides konzentriert hatte, rückt nun die Gestalt des
Sokrates in den Mittelpunkt: als Paradigma einer Kultur des Wissens, welche
die „Instinkte“ zu paralysieren droht, sich jedoch zugleich von der Ahnung
ihrer eigenen Unzulänglichkeit gewarnt fühlt. N.s Spätschrift Götzen-Dämme-
rung enthält ein eigenes Kapitel mit dem Titel Das Problem des Sokrates. Darin
stellt er explizit einen Rückbezug zu GT her (KSA 6, 68, 2-5): „ich erkannte
Sokrates und Plato als Verfalls-Symptome, als Werkzeuge der griechischen Auf-
lösung, als pseudogriechisch, als antigriechisch (,Geburt der Tragödie4 1872)“.
Auch nimmt er hier anläßlich seiner Diagnose der „decadence bei Sokrates“
den Begriff der „Superfötation“ im „Logischen“ aus GT wieder auf (KSA 6, 69;
vgl. KSA 1, 90, 31 f.).
88,10-14 Dass Sokrates eine enge Beziehung der Tendenz zu Euripides habe,
entging dem gleichzeitigen Alterthume nicht; und der beredteste Ausdruck für
diesen glücklichen Spürsinn ist jene in Athen umlaufende Sage, Sokrates pflege
dem Euripides im Dichten zu helfen.] Diogenes Laertius berichtet gleich zu
Beginn seines Kapitels über Sokrates (2, 18) die historisch nicht ernstzuneh-
mende Anekdote: „Es ging die Rede, er habe dem Euripides bei seinen Dich-
tungen geholfen“ (eöökei öe cmpnotsiv Eupinlöp). Anschließend belegt Dioge-
nes Laertius diese Aussage mit einer Reihe von Dichterzitaten, in denen
Sokrates als Mentor des Euripides erscheint. Eines von ihnen lautet: „Euripi-
des, durch Sokrates zurechtgezimmert“ (Evpmiöaq otüKpaToyöpcpovq), ein
anderes Zitat stammt aus einem zeitgenössischen Drama (den Gefangenen des
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften