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Stellenkommentar GT 14, KSA 1, S. 95 295

Wagner für Aischylos eine Vorliebe hatte und weil nur so die archaische Form
der Tragödie mit dem Ursprung der Tragödie verbunden werden konnte. Die
intendierte Verwischung der tatsächlichen historischen Verhältnisse geht aus
der Veränderung des Wortlauts gegenüber der Vorstufe Socrates und die
Tragoedie hervor. Dort heißt es noch: „erst seitdem es zwei Schauspieler gab,
also verhältnißmäßig spät [!], entwickelte sich der Dialog“ (KSA 1, 545, 16-
18). Demnach wäre also der früheste der drei großen Tragiker paradoxerweise
„verhältnißmäßig spät“, weil er es war, der den zweiten Schauspieler und
damit auch den Dialog einführte.
95, 18 f. mag auch Aristoteles gerade dieser Auffassung des Chors seine Bei-
stimmung geben.] In der Poetik des Aristoteles heißt es (1456a): „Den Chor muß
man ebenso einbeziehen wie einen Schauspieler, und er muß ein Teil des Gan-
zen sein und sich an der Handlung beteiligen - nicht wie bei Euripides, son-
dern wie bei Sophokles“.
95,19-22 Jene Verrückung der Chorposition, welche Sophokles jedenfalls durch
seine Praxis und, der Ueberlieferung nach, sogar durch eine Schrift anempfohlen
hat, ist der erste Schritt zur Vernichtung des Chors] Der Sophokles-Biogra-
phie des im 10. Jahrhundert n. Chr. entstandenen byzantinischen Suda-Lexi-
kons zufolge hat Sophokles eine (verlorene) Schrift über den Chor verfaßt. N.
studierte das Suda-Lexikon, vgl. KGW I 5. Trotz berühmter Chorlieder ist bei
Sophokles der Anteil der Chorlieder am gesamten Drama weitaus geringer als
bei Aischylos und Euripides.
95, 23 Euripides, Agathon und der neueren Komödie] Von Agathon, einem
attischen Tragödiendichter der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr., sind nur
Fragmente überliefert. An den Lenäen (einem Dionysos-Fest) des Jahres 416
errang er seinen ersten Tragödiensieg, den er mit einem berühmten Trinkge-
lage feierte. Unter den Gästen befanden sich auch Sokrates, Aristophanes und
Alkibiades. Diesem Trinkgelage gilt die Erinnerung in Platons Symposion. Darin
läßt Platon den Agathon selbst eine Rede halten (194e-197e). Nach Aristoteles’
Poetik soll Agathon damit begonnen haben, den Chor bloß noch , Einlagen4
(Embölima) singen zu lassen, die ohne jede Beziehung zur Handlung und
daher austauschbar waren. Die Tendenz zur Ablösung des Chors von der Hand-
lung lassen auch die späten Tragödien des Euripides erkennen, üblich ist sie
in der neueren Komödie (zu dieser vgl. NK 76, 6-9).
95, 24-29 Die optimistische Dialektik treibt mit der Geissel ihrer Syllogismen
die Musik aus der Tragödie: d. h. sie zerstört das Wesen der Tragödie, welches
sich einzig als eine Manifestation und Verbildlichung dionysischer Zustände, als
sichtbare Symbolisirung der Musik, als die Traumwelt eines dionysischen Rau-
 
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