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Stellenkommentar GT 16, KSA 1, S. 102-103 317

Gerade unserer Zeit, mit ihrer sich .objektiv“, ja voraussetzungslos gebärdenden
Geschichtsschreibung, möchte ich zurufen, daß diese .Objektivität“ nur erträumt ist, daß
vielmehr auch jene Geschichtsschreibung - soweit sie nicht trockene Urkundensammlung
ist - nichts als eine Beispielsammlung für allgemeine philosophische Sätze zu
bedeuten hat (NL 1871, KSA 7, 9[42], 288, 8-30).
102, 24-26 wie die Tragödie an dem Entschwinden des Geistes der Musik eben
so gewiss zu Grunde geht, wie sie aus diesem Geiste allein geboren werden kann.]
Der von Wagner stammende und von diesem wiederholt verwendete Ausdruck
„Geist der Musik“ (vgl. Beethoven, GSD IX, 80; 125; Ein Einblick in das heutige
deutsche Opernwesen, GSD IX, 281) ist nur Titel-Bestandteil der 1. Auflage von
GT, nicht mehr der Auflage von 1886; daß er aber auch hier im Text dieser
späteren Ausgabe noch exponiert wird, läßt erkennen, daß N. sich der Sache
nach nicht von der früheren Position distanzieren wollte. Die Partie markiert
insgesamt den Übergang (vgl. 102,19: „Uebergänge“) vom Niedergangsszenario
der vorherigen Kapitel zur Hoffnung auf die „Wiedergeburt der Tragö-
die“ (103, 13 f.).
102, 28-30 müssen wir uns jetzt freien Blicks den analogen Erscheinungen der
Gegenwart gegenüber stellen; wir müssen mitten hinein in jene Kämpfe treten]
Die „analogen Erscheinungen“ der „Gegenwart“ - „analog“ nämlich zu denje-
nigen in Griechenland - ergeben sich weitgehend aus einem verdeckten Zirkel-
schluss: Die Ausführungen über die Geschichte der griechischen Tragödie
waren immer schon vom Interesse an der Gegenwart (an Wagners Musikdrama)
mitbestimmt und auf diese hin organisiert. Zur Leitvorstellung von „Kämpfen“,
die in der Gegenwart zu führen sind, vgl. NK 102, 17-21. Vgl. auch 111, 12-14;
besonders aussagekräftig: Richard Wagner in Bayreuth, KSA 1, 451 (zitiert in
NK 129, 14-32).
103, 3-9 den anderen gegnerischen Trieben [...], die auch in der Gegenwart in
dem Maasse siegesgewiss um sich greifen, dass von den theatralischen Künsten
z. B. allein die Posse und das Ballet in einem einigermaassen üppigen Wuchern
ihre vielleicht nicht für Jedermann wohlriechenden Blüthen treiben.] Die Posse,
die traditionell derbe Züge hat und menschliche Narrheiten an einer im
Mittelpunkt stehenden komischen Person verspottet, war in der literarisch
anspruchsvollen Form populär geworden, die ihr Ferdinand Raimund (1790-
1836) mit seinen Zauberpossen (Der Barometermacher auf der Zauberinsel, Das
Mädchen aus der Feenwelt oder Der Bauer als Millionär, Der Alpenkönig und der
Menschenfeind) und Johann Nestroy (1801-1862) mit seinen satirischen Possen
verlieh (Judith und Holofernes, Einen Jux will er sich machen, Lumpazi vagabun-
dus). Immer noch Konjunktur hatten zu N.s Zeiten die Possen von August von
Kotzebue. Mehrere der entsprechenden Reclam-Ausgaben hatte N. sogar in sei-
 
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