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Entwicklung der Reflexlehre
von mir empfunden wurde, hatte notwendig über die Vorstel-
lung von einem Vorgang hinausgeführt; der Beschreibung von
Johannes Müller hingegen haftet die Vorstellung vom Vorgang
allzusehr an.
Ich schließe diesen Abschnitt über Johannes Müller und den
Reflex mit einem Hinweis auf seinen Anhang zu Bell’s Werk
„The nervous System of the human body“ von 1830. Darin stehen
seine Beweise des BELL-MAGENDiE’schen Lehrsatzes als eines
Gesetzes. Damals hatte er offenbar noch keine Vorstellung
über das Reflexionsvermögen des Rückenmarks, denn er schreibt,
daß man durch Zerrung der hinteren Wurzeln und die „da-
durch bewirkte Zerrung am Rückenmark“ Zuckungen
hervorrufen könne. Wenn die vorderen Wurzeln bei diesem Ver-
suche durchschnitten seien, dann können bei Zerrung der hinteren
Wurzeln und des Rückenmarks eben keine Zuckungen mehr ent-
stehen — es geht bei diesen Feststellungen also allein um die
Natur der „Rückenmarksnervenwurzeln“.
Johannes Müller’s Nervenphysiologie.
Johannes Müller’s „Handbuch der Physiologie“ enthält in
seinem ersten Band eine ausführliche „Physik der Nerven“, die
sich nach einleitenden Bemerkungen ausführlich und den Rahmen
einer Physik sprengend mit der „Reizbarkeit der Nerven“ und
mit der „Mechanik des Nervenprinzips“ befaßt — aus diesem
Teil stammen auch die Bemerkungen über die Reflexion — und
danach von den „Eigentümlichkeiten der einzelnen Nerven“ und
von den „Zentralteilen des Nervensystems“ handelt. In den bei-
den letzten Abschnitten kann man nur noch dann von einer
Physik der Nerven sprechen, wenn man darunter eine umspan-
nende Physis des Nervösen verstehen will. Außerhalb der Be-
trachtung bleibt nur die Psychologie, die Psychologie, die man
sich neben der Physis vorstellen muß.
Ich möchte hier aus Koenigsberger’s HELMHOLTZ-Biographie (Leo
Koenigsberger, „Hermann von Helmholtz“, Band I, (1902), S. 50) eine
Beurteilung der Physiologie Johannes Müller’s, der der Lehrer von Helm-
holtz war, anführen. Koenigsberger schreibt: „[Aber] es war eine gewaltige
Geistesarbeit nötig, um diese Grundsätze methodischer Forschung (die
modernen Grundsätze der experimentierenden, empirisch forschenden Wis-
senschaften) von der anorganischen auf die organische Natur zu über-
tragen. Nachdem Ernst Heinrich Weber die Erklärung der Lebenserschei-
Entwicklung der Reflexlehre
von mir empfunden wurde, hatte notwendig über die Vorstel-
lung von einem Vorgang hinausgeführt; der Beschreibung von
Johannes Müller hingegen haftet die Vorstellung vom Vorgang
allzusehr an.
Ich schließe diesen Abschnitt über Johannes Müller und den
Reflex mit einem Hinweis auf seinen Anhang zu Bell’s Werk
„The nervous System of the human body“ von 1830. Darin stehen
seine Beweise des BELL-MAGENDiE’schen Lehrsatzes als eines
Gesetzes. Damals hatte er offenbar noch keine Vorstellung
über das Reflexionsvermögen des Rückenmarks, denn er schreibt,
daß man durch Zerrung der hinteren Wurzeln und die „da-
durch bewirkte Zerrung am Rückenmark“ Zuckungen
hervorrufen könne. Wenn die vorderen Wurzeln bei diesem Ver-
suche durchschnitten seien, dann können bei Zerrung der hinteren
Wurzeln und des Rückenmarks eben keine Zuckungen mehr ent-
stehen — es geht bei diesen Feststellungen also allein um die
Natur der „Rückenmarksnervenwurzeln“.
Johannes Müller’s Nervenphysiologie.
Johannes Müller’s „Handbuch der Physiologie“ enthält in
seinem ersten Band eine ausführliche „Physik der Nerven“, die
sich nach einleitenden Bemerkungen ausführlich und den Rahmen
einer Physik sprengend mit der „Reizbarkeit der Nerven“ und
mit der „Mechanik des Nervenprinzips“ befaßt — aus diesem
Teil stammen auch die Bemerkungen über die Reflexion — und
danach von den „Eigentümlichkeiten der einzelnen Nerven“ und
von den „Zentralteilen des Nervensystems“ handelt. In den bei-
den letzten Abschnitten kann man nur noch dann von einer
Physik der Nerven sprechen, wenn man darunter eine umspan-
nende Physis des Nervösen verstehen will. Außerhalb der Be-
trachtung bleibt nur die Psychologie, die Psychologie, die man
sich neben der Physis vorstellen muß.
Ich möchte hier aus Koenigsberger’s HELMHOLTZ-Biographie (Leo
Koenigsberger, „Hermann von Helmholtz“, Band I, (1902), S. 50) eine
Beurteilung der Physiologie Johannes Müller’s, der der Lehrer von Helm-
holtz war, anführen. Koenigsberger schreibt: „[Aber] es war eine gewaltige
Geistesarbeit nötig, um diese Grundsätze methodischer Forschung (die
modernen Grundsätze der experimentierenden, empirisch forschenden Wis-
senschaften) von der anorganischen auf die organische Natur zu über-
tragen. Nachdem Ernst Heinrich Weber die Erklärung der Lebenserschei-