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Marx, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1938, 10. Abhandlung): Die Entwicklung der Reflexlehre seit Albrecht von Haller bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts: vorgelegt in der Sitzung am 16. November 1938 — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.43756#0120
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120

Ernst Marx:

bildet. Wir sind überrascht, diese Zeugen aufgeführt zu finden,
und können es nur daraus verstehen, daß Pflüger einfach nicht
erkennen konnte, daß sie aus einer anderen Zeit stammten:
was ihnen eine Erscheinung, ein Vorkommnis war, bedeutete
ihm den Ausdruck eines Gesetzes; wenn sie von Sensorium
außerhalb des Gehirns und des kompletten Tieres sprachen, dann
war es eine fapon de parier oder die Überzeugung, daß die
Überleitung im Rückenmark nur so wie im Gehirn, also mit Sen-
sorium, vor sich gehen könne — er aber, wenn er von sensori-
schen Funktionen sprach, die im Rückenmark sein sollten, gab
eine Nivellierung aller nervösen Erscheinungen und zwar auf dem
begreifbarsten Niveau. — Was hielt Pflüger davon ab, eine er-
kenntnistheoretische Erfassung des Sensoriums, von Vorstellung
und Wille, zu geben, wie es Schiff fertig gebracht hat? Wir
können nur sagen, daß es ihm unmöglich war, sich den Men-
schen in seiner kindlichen Entwicklung und bei jedem einzelnen
Empfindungsvorgang aus Empfindungselementen entstehen zu
denken. Er nahm ja „Bewußtseine“ an je nach der Teilung der
Marksubstanz, und diese Bewußtseine waren dann eben kom-
plett, sie enthielten alles, was auch das Hirnbewußtsein enthielt,
zumindesten potentia. Er dozierte die Gleichheit der „spontanen“
und „nichtspontanen“ Bewegung, er gab dem kompliziertesten
Denkvorgang das Wesen, das wir dem sturen Reflex zu geben
gewohnt sind. — Hier ist der springende Punkt des PFLüGER’schen
Denkens: im funktionalen Element des nervösen Apparates ge-
schieht alles, was auch im vollständigen Menschen vor sich gehen
kann. Alles hat die gleiche Gesetzmäßigkeit, eine Mechanik, und
mit der gleichen Gesetzmäßigkeit auch den gleichen Vorgang und
das gleiche Resultat für den Menschen. Die Zusammenballung
des Nervösen in eine Aktion hinein, das Miteinander, Beiein-
ander, Nacheinander, das kausale Auseinander seelischer und
leiblicher Funktionen, das alles führte mich dazu, von einer Atomi-
sierung und von einem ungebundenen Materialismus bei Pflüger
zu sprechen. — Seine Theorie der Mitempfindung heißt zwar
ausdrücklich eine Hypothese, aber gerade sie gibt sein Denken
gut wieder: Bestimmte Moleküle der empfindenden zentralen Mark-
substanz können nur von bestimmten sensiblen Nerven getroffen
werden. „Wenn aber diese bestimmten Molekeln einmal durch
die heftige Erregung sensitiver Fasern mächtiger erschüttert wer-
den, sodaß auch andere zentrale empfindende Substanz hiervon
 
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