Kallist und Tertullian.
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In seiner Schrift „Wer war Praxeas ?“ (Bonner Universitäts-
programm 1910, S. 11, Anm.) erklärt dann Esser, der Adressat
von De pud. sei nicht der römische Bischof, sondern die karthagische
katholische Gemeinde oder ihr Bischof. Zwar sei der Urheber des
,,Ediktes“ der römische Bischof, dieser habe aber die Kontroverse
in Karthago nicht veranlaßt, sondern nur in sie eingegriffen. Den
hier angekündigten Beweis sucht Esser im ersten Teil seiner
neuesten Schrift ,,Der Adressat der Schrift Tertullians De pudi-
citia und der Verfasser des römischen Bußediktes“ (Bonn 1914) zu
führen; im zweiten Teile nimmt er die vor Auffindung der Philoso-
phumena Hipolyts allgemein verbreitete Anschauung, daß Papst
Zephyrin der Urheber des Ediktes sei, wieder auf und sucht sie
durch die Scheidung von Tertullian, De pud. und Hippolyt, Philos.
IX, 12 sowie durch chronologische Erwägungen als die richtige
darzutun1.
In einem Punkte ist sich Esser seit 1905 durchaus gleich-
geblieben, nämlich in der Überzeugung, daß Tertullian, De paenit.
eine einmalige kirchliche Versöhnung bei allen Sünden kenne und
anerkenne, daß deshalb sein De pud. c. 1 zugestandener Gesinnungs-
wechsel eben in der (montanistischen) Aufstellung einer Unter-
scheidung zwischen peccata remissibilia und peccata irremis-dbilia
(den drei Kapitalsünden) liege, daß also Kallist nicht eine neue
Praxis eingeführt, sondern eine bestehende, aber nicht unwider-
sprochene und nicht allgemein geübte vertreten und ihr zur sieg-
reichen Durchführung verholten und zugleich den Glauben an
die Gewalt der Kirche zur Vergebung aller Sünden und den sakra-
mentalen Charakter der Buße nachdrücklich verteidigt habe.
Zwar unterschied er schon 1902 zwischen einer prinzipiellen und
einer disziplinären Seite der Frage, von denen jene die ordentliche
Sündenvergebungsgewalt der Kirche, diese speziell die Behandlung
der Unzuchtssünden betroffen habe, er scheint aber damals noch
die Tat Kallists als etwas Neues, als Milderung vorheriger Strenge
angesehen zu haben (S. 196).
2. Essers Thesen haben jeweils ziemlichen Anklang gefunden.
Den katholischen Dogmatikern lag seine Auffassung vonTert., De
1 Vgl. jetzt auch Essers Bemerkungen zu Kellners Übersetzung der
montanistischen Schriften Tertullians (Bibliothek der Kirchenväter, Tertullians
ausgewählte Schriften. II. Bd. Durchgesehen und herausgegeben von Esser
1915) und seinen Aufsatz über die Behandlung der Häresie in der Bußdisziplin
der alten Kirche, „Theologie und Glaube“ 1916, 472—483.
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In seiner Schrift „Wer war Praxeas ?“ (Bonner Universitäts-
programm 1910, S. 11, Anm.) erklärt dann Esser, der Adressat
von De pud. sei nicht der römische Bischof, sondern die karthagische
katholische Gemeinde oder ihr Bischof. Zwar sei der Urheber des
,,Ediktes“ der römische Bischof, dieser habe aber die Kontroverse
in Karthago nicht veranlaßt, sondern nur in sie eingegriffen. Den
hier angekündigten Beweis sucht Esser im ersten Teil seiner
neuesten Schrift ,,Der Adressat der Schrift Tertullians De pudi-
citia und der Verfasser des römischen Bußediktes“ (Bonn 1914) zu
führen; im zweiten Teile nimmt er die vor Auffindung der Philoso-
phumena Hipolyts allgemein verbreitete Anschauung, daß Papst
Zephyrin der Urheber des Ediktes sei, wieder auf und sucht sie
durch die Scheidung von Tertullian, De pud. und Hippolyt, Philos.
IX, 12 sowie durch chronologische Erwägungen als die richtige
darzutun1.
In einem Punkte ist sich Esser seit 1905 durchaus gleich-
geblieben, nämlich in der Überzeugung, daß Tertullian, De paenit.
eine einmalige kirchliche Versöhnung bei allen Sünden kenne und
anerkenne, daß deshalb sein De pud. c. 1 zugestandener Gesinnungs-
wechsel eben in der (montanistischen) Aufstellung einer Unter-
scheidung zwischen peccata remissibilia und peccata irremis-dbilia
(den drei Kapitalsünden) liege, daß also Kallist nicht eine neue
Praxis eingeführt, sondern eine bestehende, aber nicht unwider-
sprochene und nicht allgemein geübte vertreten und ihr zur sieg-
reichen Durchführung verholten und zugleich den Glauben an
die Gewalt der Kirche zur Vergebung aller Sünden und den sakra-
mentalen Charakter der Buße nachdrücklich verteidigt habe.
Zwar unterschied er schon 1902 zwischen einer prinzipiellen und
einer disziplinären Seite der Frage, von denen jene die ordentliche
Sündenvergebungsgewalt der Kirche, diese speziell die Behandlung
der Unzuchtssünden betroffen habe, er scheint aber damals noch
die Tat Kallists als etwas Neues, als Milderung vorheriger Strenge
angesehen zu haben (S. 196).
2. Essers Thesen haben jeweils ziemlichen Anklang gefunden.
Den katholischen Dogmatikern lag seine Auffassung vonTert., De
1 Vgl. jetzt auch Essers Bemerkungen zu Kellners Übersetzung der
montanistischen Schriften Tertullians (Bibliothek der Kirchenväter, Tertullians
ausgewählte Schriften. II. Bd. Durchgesehen und herausgegeben von Esser
1915) und seinen Aufsatz über die Behandlung der Häresie in der Bußdisziplin
der alten Kirche, „Theologie und Glaube“ 1916, 472—483.