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Hugo Koch:
anleitete, ihn immer wieder aufmunterte, für ihn Fürbitte ein-
legte und ihm die göttliche Verzeihung in sichere Aussicht stellte,
während sie De pud. in stummer Zurückhaltung der Buße des
Todsünders zusieht und kein Wort froher Zuversicht für ihn hat1.
In De paen. ist Tertullian mit der Kirche darin einig, daß es
für eine schwere Sünde nach der Taufe eine einmalige „zweite
Buße“ gebe und daß diese Buße (vor Gott) Verzeihung erwirke.
Als nun die Kirche einen Schritt weiterging und bei Unzuchts-
sünden die Verzeihung nach einer gewissen Bußzeit selber aus-
sprach, bestritt ihr Tertullian, der auch hierin ein „altmodischer
Christ“ blieb (vgl. Harnack, Lehrb. der Dogmengeschichte4, I,
346 A. 1), das Recht hierzu und ging nun seinerseits einen Schritt
zurück, indem er sogar die Wirksamkeit der Buße vor Gott dahin-
gestellt sein ließ. Darum kann er seinen kirchlichen Gegnern
unerhörte Neuerung und grobe Folgewidrigkeit vorwerfen und
dabei doch gestehen, daß er selber die Sache jetzt anders ansehe
als früher und in seinem jetzigen Standpunkte einen „Fortschritt“
erblicke2 *.
1 Daß in De pud. 1, 20f. mit der Ausstoßung jedes Band zwischen
der Kirche und dem Todsünder zerschnitten sei (Ed. Schwartz, Bußstufen
und Katechumenatsklassen, 1911,5 A. 1), wird man nicht gerade sagen können.
Das trifft nur bei den „monstra“ (4, 5) zu.
2 Es ist nicht richtig, was Esser im Katholik 1908, II., 298 ff. be-
hauptet, daß Tertullian De pud. seine Anschauung über Buße und Los-
sprechung ebenso als etwas Neues, als montanistischen Fortschritt bekenne
wie De virg. vel. c. 1. die Forderung des Jungfrauenschleiers und De
monog. c. 2 das Verbot einer zweiten Ehe. De virg. vel. und De monog.
macht er aus der „novitas“ seiner Forderungen kein Hehl und bemerkt,
daß gerade sie einen Haupteinwand der Katholiken bilde. De pud. aber
beginnt mit einer Klage über zunehmende sittliche Verwilderung nicht
bloß in der Welt, sondern auch in der Kirche, die sich in ihren Sittlich-
keitsbegriffen immer mehr der Welt anpasse : Nostrorum bonorum status
jam ’mergitur, chnstianae pudicitiae ratio concutitur (1,5) . . . sed jam
haec gloria extinguitur (1,15). Auch ist im Eingang von De pud. nicht,
wie im Eingang von De virg. vel. und De monog., gleich von „Para-
kleten“, also vom Geist des Montanismus, die Rede. Tertullian sagt nur,
daß er jetzt nicht mehr die Anschauung über Buße und Verzeihung
habe, die er früher, als er noch der Kirche angehörte, vorgetragen habe
und daß er seine jetzige Anschauung als Fortschritt betrachte. Richtig
ist, daß Tertullian als Montanist bezüglich der Wiederaufnahme der Ketzer
einen strengeren Standpunkt einnimmt denn als Katholik, (Esser, Pro-
gramm 1905, 26 f. und „Theologie und Glaube“ 1916, 472 ff.). De prae-
scr. c. 30 hatte er erzählt, daß Marcion und Valentin zuerst Katholiken
gewesen, dann aber wegen ihrer unruhigen Neugierde 1—· von einer Un-
Hugo Koch:
anleitete, ihn immer wieder aufmunterte, für ihn Fürbitte ein-
legte und ihm die göttliche Verzeihung in sichere Aussicht stellte,
während sie De pud. in stummer Zurückhaltung der Buße des
Todsünders zusieht und kein Wort froher Zuversicht für ihn hat1.
In De paen. ist Tertullian mit der Kirche darin einig, daß es
für eine schwere Sünde nach der Taufe eine einmalige „zweite
Buße“ gebe und daß diese Buße (vor Gott) Verzeihung erwirke.
Als nun die Kirche einen Schritt weiterging und bei Unzuchts-
sünden die Verzeihung nach einer gewissen Bußzeit selber aus-
sprach, bestritt ihr Tertullian, der auch hierin ein „altmodischer
Christ“ blieb (vgl. Harnack, Lehrb. der Dogmengeschichte4, I,
346 A. 1), das Recht hierzu und ging nun seinerseits einen Schritt
zurück, indem er sogar die Wirksamkeit der Buße vor Gott dahin-
gestellt sein ließ. Darum kann er seinen kirchlichen Gegnern
unerhörte Neuerung und grobe Folgewidrigkeit vorwerfen und
dabei doch gestehen, daß er selber die Sache jetzt anders ansehe
als früher und in seinem jetzigen Standpunkte einen „Fortschritt“
erblicke2 *.
1 Daß in De pud. 1, 20f. mit der Ausstoßung jedes Band zwischen
der Kirche und dem Todsünder zerschnitten sei (Ed. Schwartz, Bußstufen
und Katechumenatsklassen, 1911,5 A. 1), wird man nicht gerade sagen können.
Das trifft nur bei den „monstra“ (4, 5) zu.
2 Es ist nicht richtig, was Esser im Katholik 1908, II., 298 ff. be-
hauptet, daß Tertullian De pud. seine Anschauung über Buße und Los-
sprechung ebenso als etwas Neues, als montanistischen Fortschritt bekenne
wie De virg. vel. c. 1. die Forderung des Jungfrauenschleiers und De
monog. c. 2 das Verbot einer zweiten Ehe. De virg. vel. und De monog.
macht er aus der „novitas“ seiner Forderungen kein Hehl und bemerkt,
daß gerade sie einen Haupteinwand der Katholiken bilde. De pud. aber
beginnt mit einer Klage über zunehmende sittliche Verwilderung nicht
bloß in der Welt, sondern auch in der Kirche, die sich in ihren Sittlich-
keitsbegriffen immer mehr der Welt anpasse : Nostrorum bonorum status
jam ’mergitur, chnstianae pudicitiae ratio concutitur (1,5) . . . sed jam
haec gloria extinguitur (1,15). Auch ist im Eingang von De pud. nicht,
wie im Eingang von De virg. vel. und De monog., gleich von „Para-
kleten“, also vom Geist des Montanismus, die Rede. Tertullian sagt nur,
daß er jetzt nicht mehr die Anschauung über Buße und Verzeihung
habe, die er früher, als er noch der Kirche angehörte, vorgetragen habe
und daß er seine jetzige Anschauung als Fortschritt betrachte. Richtig
ist, daß Tertullian als Montanist bezüglich der Wiederaufnahme der Ketzer
einen strengeren Standpunkt einnimmt denn als Katholik, (Esser, Pro-
gramm 1905, 26 f. und „Theologie und Glaube“ 1916, 472 ff.). De prae-
scr. c. 30 hatte er erzählt, daß Marcion und Valentin zuerst Katholiken
gewesen, dann aber wegen ihrer unruhigen Neugierde 1—· von einer Un-