X. Sein und Nichts.
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theoretischen Zusammenhang sehr gut verwenden. Aber gerade
daran zeigt sich, daß „Nichts“ erst dann der Begriff eines „Gegen-
standes“ wird, wenn man unter dem Nicht-Seienden nicht etwa
das Nicht-Seiende überhaupt als Negation der allgemeinsten Denk-
form Sein versteht, sondern eine besondere Art des Nicht-Seienden,
genauer das nur mit Rücksicht auf eine besondere Seinsart nicht-
seiende, aber trotzdem im allgemeinsten Sinne seiende Etwas, dem
eine andere Art des Seins als die verneinte zukommt. Es steckt
in diesem Begriff des Nichts nicht nur kein Widerspruch, sondern
er hat im Zusammenhang des Ganzen der Platonischen Philosophie
auch eine klare positive Bedeutung.
Etwas Analoges gilt, obwohl in anderer Richtung, von dem
„Nichts“ der deutschen Mystik und der sog. „negativen Theologie“,
das ein interessantes Gegenstück zu Platons Nichts darstellt.
Hier ist „Nichts“ das wahrhaft Seiende, und nur deswegen bekommt
es den Namen Nichts, weil das, was wir als Sein kennen, für
dies Sein als Name noch nicht genügt. Wir können uns darüber
am schnellsten an einigen Versen von Angelus Silesius klar
werden: „Gott ist ein lauter Nichts, ihn rührt kein nun noch
hier“. Daraus wird sofort klar: Gott ist das Etwas, dem die
besondere Seinsart des „nun“ und „hier“, d. h. die zeitliche und
die räumliche, abgesprochen wird, und der, insofern er diese Art
des Seins nicht hat, ein Nichts genannt wird. Gott ist in unserer
Terminologie kein absolutes, sondern ein relatives Nichts, oder wie
wir auch sagen können, das Andere der räumlich-zeitlichen Welt.
Das wird sogar ausdrücklich hervorgehoben:
„Sag zwischen mir und Gott den einzigen Unterscheid,
Es ist mit einem Wort nichts als die Anderheit“/
Silesius sucht seinen Begriff des Nichts als Begriff dessen,
wofür keine Bezeichnung genügt, sogar noch über das Nicht hinaus
zu steigern: „Die zarte Gottheit ist ein Nichts und Übernichts“,
sagt er. Auch dies „Übernichts“ hat eine eminent positive Be-
deutung. Nichts ist auch „der beste Trost“, und an anderer Stelle
heißt es:
„Nichts bringt Dich über Dich als die Vernichtigkeit,
Wer mehr vernichtigt ist, der hat mehr Göttlichkeit.“
Oder denselben positiven Sinn in dem Vers:
„Was ist die Ewigkeit ? Sie ist nicht dies, nicht das,
Nicht nun, nicht ichts, nicht nichts, sie ist, ich weiß nicht
was.
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theoretischen Zusammenhang sehr gut verwenden. Aber gerade
daran zeigt sich, daß „Nichts“ erst dann der Begriff eines „Gegen-
standes“ wird, wenn man unter dem Nicht-Seienden nicht etwa
das Nicht-Seiende überhaupt als Negation der allgemeinsten Denk-
form Sein versteht, sondern eine besondere Art des Nicht-Seienden,
genauer das nur mit Rücksicht auf eine besondere Seinsart nicht-
seiende, aber trotzdem im allgemeinsten Sinne seiende Etwas, dem
eine andere Art des Seins als die verneinte zukommt. Es steckt
in diesem Begriff des Nichts nicht nur kein Widerspruch, sondern
er hat im Zusammenhang des Ganzen der Platonischen Philosophie
auch eine klare positive Bedeutung.
Etwas Analoges gilt, obwohl in anderer Richtung, von dem
„Nichts“ der deutschen Mystik und der sog. „negativen Theologie“,
das ein interessantes Gegenstück zu Platons Nichts darstellt.
Hier ist „Nichts“ das wahrhaft Seiende, und nur deswegen bekommt
es den Namen Nichts, weil das, was wir als Sein kennen, für
dies Sein als Name noch nicht genügt. Wir können uns darüber
am schnellsten an einigen Versen von Angelus Silesius klar
werden: „Gott ist ein lauter Nichts, ihn rührt kein nun noch
hier“. Daraus wird sofort klar: Gott ist das Etwas, dem die
besondere Seinsart des „nun“ und „hier“, d. h. die zeitliche und
die räumliche, abgesprochen wird, und der, insofern er diese Art
des Seins nicht hat, ein Nichts genannt wird. Gott ist in unserer
Terminologie kein absolutes, sondern ein relatives Nichts, oder wie
wir auch sagen können, das Andere der räumlich-zeitlichen Welt.
Das wird sogar ausdrücklich hervorgehoben:
„Sag zwischen mir und Gott den einzigen Unterscheid,
Es ist mit einem Wort nichts als die Anderheit“/
Silesius sucht seinen Begriff des Nichts als Begriff dessen,
wofür keine Bezeichnung genügt, sogar noch über das Nicht hinaus
zu steigern: „Die zarte Gottheit ist ein Nichts und Übernichts“,
sagt er. Auch dies „Übernichts“ hat eine eminent positive Be-
deutung. Nichts ist auch „der beste Trost“, und an anderer Stelle
heißt es:
„Nichts bringt Dich über Dich als die Vernichtigkeit,
Wer mehr vernichtigt ist, der hat mehr Göttlichkeit.“
Oder denselben positiven Sinn in dem Vers:
„Was ist die Ewigkeit ? Sie ist nicht dies, nicht das,
Nicht nun, nicht ichts, nicht nichts, sie ist, ich weiß nicht
was.