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Ernst Hoffmann:
Loslösung und Befreiung gedeutet wurde von Unbestand, Zufall,
Trug und Zwang alles Sinnlichen, so waren für ihn im Grunde
das philosophische und das religiöse Motiv Eins: Das religiöse
Erlebnis der Rettung aus irdischer Unrast in ewigen Bestand wird
eben dem Platonischen Philosophen zuteil, wofern er im reinen
Denken wahrer Urteile auf wissenschaftlichem und sittlichem
Gebiete dem Flusse der Erscheinungen und ihrem mechanischen
Zwange entrückt wird und sich im Bereiche dieses Seins heimisch1
macht. Wie nach Hippokratischer Auffassung der Charakter der
ärztlichen Techne auf den wahren Arzt übergeht, so wirkt nach
Platon die Philosophie auf ihren echten Jünger in gleicher Weise:
Er macht die Ideen zum Gegenstand seiner Erkenntnis, nicht um
es bei dieser theoretischen Relation bewenden zu lassen, sondern
um im Ganzen seines Seins von ihr durchdrungen zu werden.
Gerade hierfür aber bedarf es der strengen Tmematik; und Platon
stellte daher nicht nur propädeutisch, sondern prinzipiell sein ge-
samtes Philosophieren unter den Gesichtspunkt methodischer
Schärfe und Reinheit. So aber wurde erfordert: Gott als das Eine,
der Ideenbereich als die Welt der vielen, verschiedenen Seins-
Einheiten, und die Erscheinungswelt als Stätte unbeständiger
und vergänglicher Einzelner, alle drei müssen je in ihrer Eigen-
art und Verschiedenheit, wie sie dem dihäretischen, dialektischen
Denken einleuchten, gedacht werden. Das dialektische Denken ist
das ‘wahre’; ihm hält das Sinnliche nicht stand, Gott aber ist ihm
durch Superiorität entzogen. Zwar wird das göttlich-Gute in
gewissem Sinne durch jede einzelne Idee vertreten (wie man auch
die Sterne kleine Sonnen nennen kann), denn die Idee des Kreises
oder des Staates sind der Kreis-an-sich und der Staat-an-sich,
also Kreis und Staat in den reinen Formen ihres individuellen Gut-
seins; sie denken wir, wofern wir wahrhaft über das Wesen von Staat
und Kreis nachdenken, also nur im Bereich des Guten ist wahres
1 So konnte erst Platon, nnd kein anderer Philosoph vor ihm, die Auf-
gabe der Philosophie bestimmen, weil erst Platon das reine Sein und die reine
Vielheit verbunden hatte; jenes war von Heraklit, diese war von Parmenides
bestritten worden. Für den Platonischen Philosophen aber tut sich, kraft des
Pluralismus des Seins, ein ganzes Reich der Wahrheit auf: es gibt kein
Einzel-Wahres. Der Sophistes ist das erste Werk, in welchem aus dem
Pluralismus des ideellen Seins die Folgerung gezogen wird, die Philosophie
müsse den Widerspruch in sich aufnehmen, daß Seiendes und Nichtseiendes
einander fordern, und ihn durch eine zutreffende Logik der Negation begreifen.
Ernst Hoffmann:
Loslösung und Befreiung gedeutet wurde von Unbestand, Zufall,
Trug und Zwang alles Sinnlichen, so waren für ihn im Grunde
das philosophische und das religiöse Motiv Eins: Das religiöse
Erlebnis der Rettung aus irdischer Unrast in ewigen Bestand wird
eben dem Platonischen Philosophen zuteil, wofern er im reinen
Denken wahrer Urteile auf wissenschaftlichem und sittlichem
Gebiete dem Flusse der Erscheinungen und ihrem mechanischen
Zwange entrückt wird und sich im Bereiche dieses Seins heimisch1
macht. Wie nach Hippokratischer Auffassung der Charakter der
ärztlichen Techne auf den wahren Arzt übergeht, so wirkt nach
Platon die Philosophie auf ihren echten Jünger in gleicher Weise:
Er macht die Ideen zum Gegenstand seiner Erkenntnis, nicht um
es bei dieser theoretischen Relation bewenden zu lassen, sondern
um im Ganzen seines Seins von ihr durchdrungen zu werden.
Gerade hierfür aber bedarf es der strengen Tmematik; und Platon
stellte daher nicht nur propädeutisch, sondern prinzipiell sein ge-
samtes Philosophieren unter den Gesichtspunkt methodischer
Schärfe und Reinheit. So aber wurde erfordert: Gott als das Eine,
der Ideenbereich als die Welt der vielen, verschiedenen Seins-
Einheiten, und die Erscheinungswelt als Stätte unbeständiger
und vergänglicher Einzelner, alle drei müssen je in ihrer Eigen-
art und Verschiedenheit, wie sie dem dihäretischen, dialektischen
Denken einleuchten, gedacht werden. Das dialektische Denken ist
das ‘wahre’; ihm hält das Sinnliche nicht stand, Gott aber ist ihm
durch Superiorität entzogen. Zwar wird das göttlich-Gute in
gewissem Sinne durch jede einzelne Idee vertreten (wie man auch
die Sterne kleine Sonnen nennen kann), denn die Idee des Kreises
oder des Staates sind der Kreis-an-sich und der Staat-an-sich,
also Kreis und Staat in den reinen Formen ihres individuellen Gut-
seins; sie denken wir, wofern wir wahrhaft über das Wesen von Staat
und Kreis nachdenken, also nur im Bereich des Guten ist wahres
1 So konnte erst Platon, nnd kein anderer Philosoph vor ihm, die Auf-
gabe der Philosophie bestimmen, weil erst Platon das reine Sein und die reine
Vielheit verbunden hatte; jenes war von Heraklit, diese war von Parmenides
bestritten worden. Für den Platonischen Philosophen aber tut sich, kraft des
Pluralismus des Seins, ein ganzes Reich der Wahrheit auf: es gibt kein
Einzel-Wahres. Der Sophistes ist das erste Werk, in welchem aus dem
Pluralismus des ideellen Seins die Folgerung gezogen wird, die Philosophie
müsse den Widerspruch in sich aufnehmen, daß Seiendes und Nichtseiendes
einander fordern, und ihn durch eine zutreffende Logik der Negation begreifen.