Metadaten

Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0126
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
122

Ernst Hoffmann:

zu werden, in welchem Gott dann als Leben, Licht und Liebe
spürbar wird: Sie muß also zu sich selber kommen, um zu Gott
kommen zu können. Aber es handelt sich nicht mehr um stoische
Medicina animi, pythagoreische Magie oder neuplatonische Ka-
thartik, sondern es handelt sich um ein, trotz aller notwendigen
Bemühung1 seitens des Menschen, prinzipielles Unvermögen der
Seele und der Philosophie und um prinzipielle Begnadung und un-
verdiente Erleuchtung durch Gott. Das Bisherige zusammengefaßt:
Augustins Erkenntnislehre ist Illuminationstheorie, und Illuminatio
ist die vierte, und zwar prinzipiell mystische Umbildung der Parti-
cipatio. Gott das Licht, das selber sieht2.
XII.
Platon hatte im Timaios3 die Aufgabe gestellt, ‘über das Welt-
all zu sprechen, inwiefern es geworden oder ungeworden ist’. Zu
diesem Vorhaben hatte er ‘die Hilfe der Götter und Göttinnen er-
fleht, daß die Erörterung vor allem ganz nach ihrem Sinne ausfalle;
sodann aber auch, daß sie in Einklang mit sich selber bleibe’. Am
Ziele angelangt4 will Platon ‘einem Wanderer gleich nach langem
Marsche ausruhen. Das Weltall aber, der in Wirklichkeit längst
vorhandene, in der Darstellung jedoch eben jetzt erst entstandene
Gott möge zu allem, was in diesen Ausführungen wohlgeraten ist,
seinen Segen geben . . .; als wirksamstes Heilmittel aber, um viel-
leicht wider Willen untergelaufenen Irrtum in Zukunft zu vermeiden,
möge er uns die rechte Einsicht verleihen’. Durch diese feierlichen
Gebete im Timaios und Ivritias war der Kosmologie stilistisch eine
1 In diesem Zugleich von Unvermögen und Gehorsam, von nicht-Können
und doch-Sollen liegt der stärkste Impuls für Augustins Philosophie der Moral
und der Kultur. Gerade das Irren der Seele ist zugleich das Suchen desjenigen
Menschen, von dem Gott sich finden läßt (Confessionen). Gerade die Unmög-
lichkeit, den Urständ wiederzugewinnen, ist zugleich der Anlaß, den Sünden-
stand nach Möglichkeit zu bessern (Civ. Dei). Augustin gewinnt sein ganz
neues Verhältnis zum Psychischen und Historischen, weil er nicht den ver-
nünftigen Weg der Seele und der Geschichte studiert, sondern die Irrgänge
in beiden, und demgemäß bis ins Innerste und Kleinste vordringt. Die Er-
kenntnis der Fehlform wird zum Zeichen, daß die Idealform verloren ist; aber
die Bemühung bezweckt nicht, Gottes Hilfe zu erzwingen, sondern ihrer würdig
zu sein, falls sie gewährt wird.
2 Hierbei kann die Mystik, wie so oft, an uralte Vorstellungen anknüp-
fen: Vgl. Hom. II. III, 277; Od. XI, 109: ’HsXiot;, oc, toxvt’ Itpopa.
3 Tim. 27c. Vgl. dazu auch 48d.
4 Crit. 106a.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften