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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0047
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Platonismus und Mystik im Altertum. 43
ist, den sie unablässig erzeugt, obwohl sie selber unverändert
bleibt1. Die Welt hat demgemäß erstens näher bei Gott verbliebene,
zu zweit weiter von ihm entfernte und schließlich ganz weit von
ihm weg liegende Teile. Gottes nächste Ausstrahlung ist der Be-
reich des reinen Geistes, welcher zwar das Abbild des Einen ist,
aber bereits das Prinzip der Zweiheit, der Spaltung in Denkbewußt-
sein (votjgu;) und Denkinhalt (üXy] voTjTtxTQ), in sich enthält: die-
ser Bereich ist die Gesamtheit der Ideen, welche als Subjekte
reine Geisteskräfte des absoluten Bewußtseins, als Objekte reine
Urbilder der Seinsformen, als wirkende Mächte die besonderen
Ursachen des Geschehens sind. —- Wie zum Einen der Geist,
so verhält sich zum Geist die aus ihm emanierte Seele der
Welt. Sie gehört von oben her noch zum Lichtreich und steht
doch schon an der Grenze der Finsternis; sie hat noch die
Natur des Einheitlichen, wodurch sie Abbild des Geistes ist, und
doch auch schon die des Teilbaren, wodurch sie als gestaltende
Kraft in den Weltleib eingehen kann. Und wie die Weltseele in
den Weltleib, so strömt die aus ihr emanierte Einzelseele mit
ihrem niederen Teile in den Einzelkörper ein, den sie aufbaut und
als Stätte ihrer Wirksamkeit durchwaltet. So wird mit zunehmen-
dem Abstand von Gott der Seinsgrad und Seinswert des Weltlichen
immer geringer, je mehr das Sein ins Werden, das Allgemeine ins
Besondere hinabsinkt, bis schließlich mit dem baren Stoffe die
äußerste, schon verschwimmende Grenze erreicht wird: der Ab-
glanz vom Ursprung ist nur noch so schwach, daß faktisch schon
Dunkelheit herrscht, Gottes Lichtausstrahlung scheint in Finsternis
verwandelt. Dies bedeutet, daß das sinkende Sein auf jener
Stufe angelangt ist, die nur noch die Bestimmung der Bestimmungs-
losigkeit ermöglicht. War der Gottesbegriff in dem Sinne negativ
gewesen, daß das Eine als das Unsagbare, über jede endliche Be-
stimmung Erhabene gedacht werden mußte, so besteht die Nega-
tivität der Materie in der absoluten Privation, in der Abwesenheit
des Guten, die zugleich der Anfang des Bösen ist.
V.
Dies sind die drei Hauptformen des konvertierten Platonismus
der Spätantike in ihrer geschichtlichen Keihenfolge. Es liegt
zutage, daß alle drei Begriffe, das Entkeimen, das Entfalten, das

1 Enn. V, 1, 6 a. a. O. Z. 21.
 
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