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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0057
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Platonismus und Mystik im Altertum.

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Nach pythagoreischer Lehre ist die Seele nicht sowohl erkrankt
als vielmehr verkörperlicht. Sie war ursprünglich als Einheitsprinzip
in den Körper und seine wogende Vielheit hineingefaltet, um ihn
zu beherrschen und zu leiten; sie ist aber durch eigene Verschul-
dung selber körperlich, animalisch und vegetativ geworden. Daher
muß ihr Ziel sein: Fort vom Körper, der ihr Gefängnis ist, auf daß
er nicht ihr Grab werde. Ist nun das Prinzip des Körpers die ‘un-
begrenzte Zweiheit’, so muß die Seele ihre Richtung nehmen zurück
auf die Einheit hin, von der Zerstreuung und Mannigfaltigkeit,
dem schillernden Schein und Vielerlei der körperlichen Erscheinun-
gen weg und hin zur Konzentration der Seele auf sich selber, zur
Sammlung in ihrer eigenen Einheit, zur Rückkehr in ihr konsisten-
tes Seele-Sein. Es genügt also nicht, daß die Seele das göttliche
Zahlensystem nachdenke, und daß sie es als von Gott auch in die
menschliche Vernunft hineingelegt wiedererkenne; es gilt, die
Wirkung absoluter Gottesnähe zu erfahren, d. h. im tiefsten Ein-
heitsgrunde der Seele Gott als das Ur-Eine zu erleben* 1. Daher
verbündet sich diese Richtung mit der Magie; Sühnungen, Reini-
gungen, rituelle Enthaltungen unterstützen auf magische Weise
den Prozeß der Konzentration. Und das ist ebenso konsequent,
wie die Mantik der Stoa konsequent war; wenn die Ideen erst ein-
mal zu Zahlen in Gott, d. h. zu Gedanken Gottes geworden sind,
dann ist der Weg nicht mehr weit, sie zu Organen für Gottes Willen,
zu dämonischen Mächten auf der Bahn zu ihm und zu hilfreichen
Engelsgewalten für die heimwärts strebenden Seelen zu machen.
Im Neuplatonismus schließlich gilt die Seele als gefallen. Ihre
Bestimmung wäre gewesen, als vernünftiger Teil der aus Gott
emanierten Welt den Hinblick auf ihn zu bewahren, und in diesem
Hinblick auf ihn zu leben. Der Seele aber ist ihre sukzessive Ent-
fernung von Gott zur Lust geworden, das immer tiefere Hinab-
sinken aus der Höhe ist ihr zu einer Tendenz der grundsätzlichen
Abspaltung von Gott geworden, ihr gewolltes Sinken nach unten
Denken zum noetischen s. E. Cassirer, Die Begriffsform im mystischen Den-
ken. Studien der Bibi. Warburg 1922.
1 Vgl. Philostratus, Vita Apollonii VIII, 7, 122f. ‘Daß der Mensch
göttlichen Wesens sei und durch Tugend und Weisheit selbst zum Gott werde*
stand ihm fest’, Zeller4 III, 2. Abt., S. 171. Doch auch hier, wie bei der Stoa*
ist zu beachten, daß es sich nur um einen Ansatz zur Mystik, noch nicht um
ausgebildete Mystik selber handelt, Theorie und Praxis des mystischen Kon-
templierens dringt erst später aus dem ägyptischen Isisdienst auch in die
griechische Spekulation ein. Vgl. F. Boll, Vita contemplativa2 * S. 6.
 
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