Platonismus und Mystik im Altertum.
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bleibt ihm inadäquat. Hingegen für Gott als das unbedingt-Gute
müßte gelten die in der Antithesis ausgesprochene Teilhabe, denn
das Gute durchwaltet Alles, sowohl Seiendes wie Werdendes. Der
Ansatz für die spätere Mystik ist ganz deutlich: aus dem Erleben
der logischen Atopie, aus dem Sprung ins I£od<pvy)<; muß für den
Mystiker die Vernunft-Ekstase werden. Hiermit aber sind wir
bei Plotin, nicht bei Platon. Das Denken ist bei Platon bereits
dann ins Reich der überzeitlichen Wahrheit versetzt, wenn es sich
in der Ideenwelt bewegt, in ihrer ewigen, geordneten Vielheit.
Es gilt für Platon, diese Ideen-Vielheit im Hinblick auf Gott zu
denken; nicht aber sie preiszugeben. Es gilt, in der Welt der Ideen
dauernd heimisch zu sein; nicht sie ekstatisch zu überspringen. —
Auch an diesem Punkte sehen wir, wie bereits Platons unmittel-
bare Schüler das Grundsätzliche und Tragende des genuinen
Platonismus verkannten. Speusipp scheint die überdialektische
Koinzidenz des Einen, des Guten, der Vernunft im Gottesbegriffe
bestritten zu haben; er verlangte, daß das ‘Beste’ statt an den
Anfang vielmehr an das Ende des Geschehens zu setzen sei; er
folgerte, daß, wenn das Eine dem Guten gleichgesetzt würde,
dann dem Vielen das Böse als Prinzip zuzuordnen wäre, and er
sah in Gottes Natur nicht mehr die von Platon gewollte Überhöhung
jeder Wesenheit, sondern positiv ein Wesen von seelisch-vernünf-
tiger Art1. Zeigt diese ganze Beschaffenheit seiner Positionen
bereits die Tendenz, den Gottesbegriff seiner von Platon geforderten
Absolutheit zu entkleiden und ihn lediglich aus Momenten aufzu-
bauen, die vom Sein und Werden der Weltwirklichkeit bezogen
sind, so schrieb die antike Tradition bereits dem Xenokrates die
Lehre zu, daß in der ‘Einheit’ das männliche, in der ‘unbegrenzten
Zweiheit’ das weibliche Prinzip des kosmischen Prozesses beschlos-
sen liege, wurmt die Bahn des in die Gnostik einmündenden,
Symbole nicht nur mythopoietisch hypostasierenden, sondern
dogmatisch substantiierenden Pythagoreismus beschritten war2.
Für Aristoteles aber wurde die Gottesidee zur höchsten Steige-
rung des rational Denkbaren, die nur möglich ist, zur Noyjcu; vopoecoc;,
die zwrar als ‘reines’ Denken der Welt entrückt zu sein scheint,
aber eben gerade als reines nur-‘Denken’ gänzlich aus Mitteln der
1 Stob. Ecl. I, 2, 29 (Lang fr. 38); I, 41, 32 (Lang fr. 40), Doxogr.
S. 538, 17ff. Aristoteles Metaph. 1072b 31; 1075a 36; 1091a 35; 1092a 12.
2 Aet. plac. I, 7, 30 (Heinze fr. 15, Doxogr. S. 304, 1).
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bleibt ihm inadäquat. Hingegen für Gott als das unbedingt-Gute
müßte gelten die in der Antithesis ausgesprochene Teilhabe, denn
das Gute durchwaltet Alles, sowohl Seiendes wie Werdendes. Der
Ansatz für die spätere Mystik ist ganz deutlich: aus dem Erleben
der logischen Atopie, aus dem Sprung ins I£od<pvy)<; muß für den
Mystiker die Vernunft-Ekstase werden. Hiermit aber sind wir
bei Plotin, nicht bei Platon. Das Denken ist bei Platon bereits
dann ins Reich der überzeitlichen Wahrheit versetzt, wenn es sich
in der Ideenwelt bewegt, in ihrer ewigen, geordneten Vielheit.
Es gilt für Platon, diese Ideen-Vielheit im Hinblick auf Gott zu
denken; nicht aber sie preiszugeben. Es gilt, in der Welt der Ideen
dauernd heimisch zu sein; nicht sie ekstatisch zu überspringen. —
Auch an diesem Punkte sehen wir, wie bereits Platons unmittel-
bare Schüler das Grundsätzliche und Tragende des genuinen
Platonismus verkannten. Speusipp scheint die überdialektische
Koinzidenz des Einen, des Guten, der Vernunft im Gottesbegriffe
bestritten zu haben; er verlangte, daß das ‘Beste’ statt an den
Anfang vielmehr an das Ende des Geschehens zu setzen sei; er
folgerte, daß, wenn das Eine dem Guten gleichgesetzt würde,
dann dem Vielen das Böse als Prinzip zuzuordnen wäre, and er
sah in Gottes Natur nicht mehr die von Platon gewollte Überhöhung
jeder Wesenheit, sondern positiv ein Wesen von seelisch-vernünf-
tiger Art1. Zeigt diese ganze Beschaffenheit seiner Positionen
bereits die Tendenz, den Gottesbegriff seiner von Platon geforderten
Absolutheit zu entkleiden und ihn lediglich aus Momenten aufzu-
bauen, die vom Sein und Werden der Weltwirklichkeit bezogen
sind, so schrieb die antike Tradition bereits dem Xenokrates die
Lehre zu, daß in der ‘Einheit’ das männliche, in der ‘unbegrenzten
Zweiheit’ das weibliche Prinzip des kosmischen Prozesses beschlos-
sen liege, wurmt die Bahn des in die Gnostik einmündenden,
Symbole nicht nur mythopoietisch hypostasierenden, sondern
dogmatisch substantiierenden Pythagoreismus beschritten war2.
Für Aristoteles aber wurde die Gottesidee zur höchsten Steige-
rung des rational Denkbaren, die nur möglich ist, zur Noyjcu; vopoecoc;,
die zwrar als ‘reines’ Denken der Welt entrückt zu sein scheint,
aber eben gerade als reines nur-‘Denken’ gänzlich aus Mitteln der
1 Stob. Ecl. I, 2, 29 (Lang fr. 38); I, 41, 32 (Lang fr. 40), Doxogr.
S. 538, 17ff. Aristoteles Metaph. 1072b 31; 1075a 36; 1091a 35; 1092a 12.
2 Aet. plac. I, 7, 30 (Heinze fr. 15, Doxogr. S. 304, 1).